Was wirklich wichtig ist

Mit wieviel eigentlich völlig Nebensächlichem, Unnötigem, Trivialem und Banalem haben Sie sich heute wieder herumschlagen müssen? Das kann, das muss aber nicht so sein.

Es gibt einen neuen Lebensstil, einen neuen Trend, der Minimalismus oder auch Essenzialismus heißt. Und nein, er meint nicht, nur noch das absolut Nötigste zu tun und im Prinzip nur noch leicht atmend auf der Couch zu liegen. Es geht vielmehr darum, sich von lästigem Überflüssigem zu trennen, um freier zu sein, um sich auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens konzentrieren zu können; wahlweise oder kombiniert: gute Arbeit abzuliefern, ein harmonisches Familienleben zu führen, seine ungenutzten Potenziale zu entfalten, endlich langgehegte Träume zu verwirklichen.

Der minimalistische Lebensstil ist als Alternative zur konsumorientierten Überflussgesellschaft entstanden und zeigt, dass es auch andere Wege gibt, als wahllos Dinge zu kaufen, zu konsumieren und dann wieder wegzuwerfen. Wer sich des Ballastes im eigenen Leben entledigt, erlebt inmitten der vielbeschworenen Komplexität unserer Zeit die wohltuende und befreiende Einfachheit klarer Strukturen und schlanker Abläufe.

Minimalisten verzichten nicht auf Konsum und Wohlstand – sie praktizieren beides lediglich überlegter. Sie fragen sich: Was ist mir im Leben wirklich wichtig? Was schafft Mehrwert? Und dann widmen sie diesen Dingen ihre Zeit, Aufmerksamkeit und Energie. Wichtig dabei ist auch, dass man nicht auf andere guckt und der Mode hinterher rennt, sondern sich die Mühe macht, selber herauszufinden, was einem wirklich wichtig ist und einen weiterbringt. Das schließt auch mit ein, dass man sich nicht vom Internet verrücktmachen lässt.

Denn dort sind natürlich auch Videos von Menschen zu finden, die ihr Hab und Gut verschenkt haben und nun mit einem paar Jeans und drei T-Shirts zurechtkommen: Das ist kein Vorbild, das ist Extremsport. Wer für seinen Job in der Bank mehr als drei T-Shirts braucht, sollte nicht solche extremen Wege gehen. Doch auch der Bankangestellte findet in seinem Leben Dinge, Verpflichtungen, Anschaffungen und Gewohnheiten, die ganz nett, aber eben nicht wesentlich für seine eigentlichen Wünsche und Träume sind. Warum sich weiter von ihnen belasten lassen?

Schöner Nebeneffekt des Minimalismus: Alles, was man nicht länger kauft, nutzt und dann wieder wegwirft, schont die Ressourcen der Erde und die Umwelt. Wer darüber hinaus nicht jede Woche ein billiges Teil von was auch immer kauft, sondern einmal im Monat etwas Gediegeneres, das darüber hinaus ökologisch und sozial nachhaltig produziert wurde, macht sich auch um die Nachhaltigkeit verdient. Der Genuss nimmt dadurch nicht ab, sondern eher zu. Nicht die Masse macht’s, wenn es um Genuss, Erlebnis und wahren Luxus geht. Außerdem macht es Spaß.

Nicht gleich zu Beginn. Denn sich von eigentlich Unnötigem zu trennen, schmerzt am Anfang schon: Immerhin hat man es sich nicht umsonst zugelegt. Das superteure Mountain-Bike, das man vor drei Jahren kaufte und seither genau zweimal benutzte, ist halt schon eine schöne Sache und irgendwann könnte man bestimmt wieder die Zeit und die Muse finden … Es sind exakt solche Illusionen, von denen uns der Minimalismus befreit: Seit man das Luxus-Bike dem Neffen geschenkt hat, der es jeden Tag zur Schule fährt, findet man selber täglich 20 Minuten Zeit, in der Mittagspause einen Spaziergang zu machen. Das ist minimal, aber immer noch fünfmal 20 Minuten mehr als jedes Wochenende auf den großen Bike-Ausritt zu hoffen, für den man dann doch wieder zu träge ist.

Es sind solche einerseits desillusionierenden und andererseits befreienden Erkenntnisse, die das Leben auf der einen Seite an Dingen und Beschäftigungen ärmer, auf der anderen Seite aber an Tiefe und Gehalt reicher machen. Es braucht nicht viel, um glücklich und frei zu sein. Tatsächlich ist diese Binsenweisheit wahrer als mancher annimmt: Wir haben leider in unserem Wohlstand schon viel zu viel Dinge und Verpflichtungen angesammelt, um glücklich und frei zu sein. Nicht noch mehr von irgendwas macht uns glücklicher, sondern konsequentes Ausmisten der hohlen Glücksversprechungen, die sich über die Jahre angesammelt haben.

Stellen Sie doch mal eine Liste auf mit allem, was eigentlich schon lange rausmüsste. Sicher kann man das alles nicht auf einen Schlag ausmisten. Aber beim kleinsten, einfachsten Posten anfangen und sich dann langsam steigern – das befreit und schärft das Bewusstsein fürs wirklich Wichtige im Leben. Weniger ist mehr.

4 Kommentare zu „Was wirklich wichtig ist

  1. Vielen Dank, Frau Hartmann, für diese Zeilen. Wie Norbert Trebing so schön formuliert hat, bin auch ich schon seit geraumer Zeit „in dieser Richtung unterwegs“.
    Bevor man sich an die zweifellos hilfreiche Liste zum Ausmisten macht, kann man wie ich damals auf den Konsum von Tageszeitung und (Radio-und Fernseh-) Nachrichten verzichten. Mit der damit gewonnenen Zeit kann man nicht nur die Ausmist-Liste beginnen, sondern sogar auch deren Umsetzung. Und nebenbei fühlt man sich auch viel besser.

    1. Lieber Michael! Bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort – aktuell ist mein neues Buch erschienen („Ihr kriegt den Arsch nicht hoch“, Campus-Verlag) und die redaktionellen Anfragen häufen sich auf meinem Schreibtisch, so dass mir kaum Zeit zum Atmen bleibt. Aber Sie haben natürlich Recht – und Mut. Ich weiß, dass inzwischen immer mehr Psychologen und Experten dazu raten, bei Medien, Nachrichtensendungen und Social Media eine ‚Diät‘ einzulegen. Dass das aber wirklich jemand macht, finde ich toll und mutig. Hut ab, Respekt!

  2. eine Freude diesen Text zu lesen.

    Vor allem wenn man selbst in dieser Richtung unterwegs ist. Ich kann das aufgeführte alles nur bestätigen. “ Ärmer“ bin ich sicherlich auf dem Weg nicht geworden. Wohl aber lebe ich freier und leichter, da ich mich mit vielen Dingen nicht mehr beschäftigen muss. Eine interessante und spannende Reise zu der ich auch nur raten kann, einfach mal beginnen.

    1. Lieber Norbert, meine Antwort kommt spät (ich gebe in diesen Tagen praktisch rund um die Uhr Interviews zu meinem neuen Buch), aber von Herzen: Ich teile Ihre Beobachtungen. Ärmer wird man durch einen essenziellen Lebensstil nicht – obwohl viele Skeptiker natürlich genau das befürchten und weitermachen wie bisher. Die Freiheit und Leichtigkeit, die man dadurch gewinnt, muss man wohl erst selber erlebt haben, um es zu glauben.

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