Seit Jahren tobt der Hype – jetzt ist es endlich da: das autonome Auto. Vor wenigen Tagen hat ein schwäbischer Automobilhersteller als erster auf der Welt die Zulassung für sein Robo-Auto bekommen. Das Auto fährt schon. Kaufen kann man es ab diesem Jahr, mit dem nötigen Kleingeld.
Denn bislang gibt es die autonome Fahrfunktion nur in der S-Klasse oder beim EQS. Wer sich diese Edelkarossen leisten mag, kann künftig auf der Autobahn die Füße hochlegen, das Lenkrad loslassen, die Zeitung lesen oder das Notebook traktieren, nebenher Schwarztee schlürfen und das Auto sich selber fahren lassen. Sehr angenehm, sehr effizient: Endlich kann man die Fahrzeit für Sinnvolles nutzen. Die Zulassung der Technologie gilt bislang für Staus und stockenden Verkehr unter 60 km/h.
Wer jetzt abwinkt und meint „Och, das hilft ja nur im Stau!“, hat in seinem Leben noch nie gependelt oder kennt A7 und A3 noch nicht. Denn wie jeder weiß, der zu Stoßzeiten unterwegs ist: Stau ist unvermeidlich. Laut ADAC steht die Autonation jährlich 520.000 Stunden auf der Autobahn im Stau. Bis wir ins Rentenalter kommen, haben wir buchstäblich Jahre unseres Lebens im Stau verbracht. Wir mobilen Menschen nehmen das als gegeben hin. Doch das ist ungefähr eine so sinnvolle Tätigkeit, wie den Saudis Sand oder den Eskimos Eis verkaufen zu wollen oder der Farbe an der Wand beim Trocknen zuzusehen. Damit macht Mercedes jetzt Schluss – erst einmal für seine Luxus-Limousinen.
Doch wir alle kennen die Diffusion neuer Technologien. Was sich heute ausschließlich die oberen Zehntausend leisten können, kann sich in einigen Jahren jeder leisten. Siehe Heimcomputer, Notebooks, Smartphones, Induktionsherde, Dampfgarer … Wir können uns also schon mal darauf freuen. Worauf?
Auf automatisiertes Fahren auf dem Level 3. Wobei Level 5 für „vollautonomes“ steht: Es ist in keiner Verkehrssituation mehr ein menschlicher Fahrer nötig. Davon träumen wir – zumindest jene, für die nicht der BMW-Slogan gilt: Freude am (selber) Fahren.
Level 3 bedeutet: Der EQS bringt uns nicht nur sicher durch den Stau, sondern blinkt dabei auch selbstständig, wenn er die Spur wechselt; er beschleunigt und bremst selber, je nach Geschwindigkeit der Staufahrzeuge. Falls der Autopilot tatsächlich einmal nicht mehr weiterwissen sollte, schaltet er den menschlichen Fahrer mit einer Vorwarnzeit von 10 Sekunden und mit einem Warnton wieder „online“. Wie schafft der Autopilot das? Was braucht es, damit ein Auto selber fahren kann?
Eine Rechnerleistung, die alles bislang Dagewesene in den Schatten stellt, sechs Kameras, 12 Ultraschallsensoren, ein halbes Dutzend Radare, eine GPS-Antenne und ein LiDAR-System im Kühlergrill zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung (Light Detection and Ranging): Statt Radiowellen wie beim Radar verwendet LiDAR Laserstrahlen.
Zugelassen ist das (teil)autonome Auto bislang für Deutschland als erstem und bislang einzigem Land. Bei 13.200 Kilometern Autobahn und massenhaft Staus wird es nicht an Einsatzmöglichkeiten mangeln. Derzeit arbeitet der Konzern an der Einführung der Technologie in den USA und China. Wir dürfen stolz sein!
Denn nicht God’s Own Car Nation hat die erste Zulassung für einen amerikanischen Wagen erteilt, sondern die Nation der Tüftler und Ingenieure. Tesla wirbt seit Jahren mit seinem Autopiloten, doch dessen System arbeitet bislang „nur“ auf Level 2 und wird derzeit noch in der Beta-Version gehandelt. Hier hat tatsächlich einmal Deutschland die USA überholt – was selten genug passiert.
Wer uns jetzt inmitten der größten Klima-Krise seit dem Aussterben der Saurier vorwirft, bei unserer Jubel-Arie fürs Auto komplett die Nachhaltigkeit vergessen zu haben, der sei daran erinnert, wie täglich Hunderttausende Staufahrer einen Stau befahren: beschleunigen, bremsen, beschleunigen, bremsen, beschleunigen, zu dicht auffahren, Blechschaden. Künftige Studien werden zeigen: Der Autopilot entlastet nicht nur den gestressten Fahrer, sondern auch das gestresste Klima, die Atemluft, die Umwelt und sogar den Verkehr selbst, weil er sehr viel spritsparender und damit effizienter und außerdem weniger unfallträchtig fährt. Wenn irgendwann alle sich immer und überallhin von autonomen und darüber hinaus per Verkehrsleitsystem vernetzten Autos fahren lassen, können wir darauf wetten, dass viele Staus gleich gar nicht entstehen und der Verkehr sehr viel schneller und reibungsärmer fließt. Weil der Mensch eben nicht der smarteste Fahrer ist.