Früher haben wir online einfach alles gekauft: Bücher, Beklei–
dung, Handys, Unterhaltungselektronik, Koch-Boxen, Medika–
mente. Das artete in einen veritablen Kaufrausch insbesondere
während Corona und den Lockdowns aus, weshalb der statio–
näre Handel, also die Geschäfte in unseren Innenstädten, seit
der Erfindung des Internets um ihre Existenz bangen. Und das
zu Recht: Die Zahlen lügen nicht.
dung, Handys, Unterhaltungselektronik, Koch-Boxen, Medika–
mente. Das artete in einen veritablen Kaufrausch insbesondere
während Corona und den Lockdowns aus, weshalb der statio–
näre Handel, also die Geschäfte in unseren Innenstädten, seit
der Erfindung des Internets um ihre Existenz bangen. Und das
zu Recht: Die Zahlen lügen nicht.
Der E-Commerce verzeichnete allein in Deutschland im ersten
Corona-Jahr 2020 einen außerordentlichen Mehrumsatz von
12,7 Milliarden Euro. 2021 waren es sogar 23,6 Milliarden Euro
mehr als noch vor Corona. Pandemien sind gut für den E-Com–
merce. Doch das war gestern. Heute haben wir zwar immer
noch Pandemie, aber das Online-Geschäft hat einen Knick be–
kommen, weil eben nicht mehr Corona der bestimmende
Trend ist, sondern die Monster-Inflation und die Ukraine-Inva–
sion. Beide Faktoren haben zu etwas geführt, was selbst Inter–
net-Skeptiker vor wenigen Jahren noch für unmöglich hielten:
eine Trendumkehr.
Wir kaufen zwar weiterhin munter das Internet leer. Doch ei–
nes hat sich radikal verändert: Das, was wir einkaufen, unser
Warenkorb. Seit Beginn der Ukraine-Invasion brach der deut–
sche Online-Umsatz bei Bekleidung und Schuhen um 8,6 Pro–
zent ein – das ist ein Millionenrückgang. Ursächlich dafür ist
nicht etwa die späte Einsicht, dass wir mit dem Konsum von
Fast Fashion unser Klima zerstören, unsere Ressourcen ver–
schwenden und modisches Aussehen uns keineswegs zu besse–
ren Menschen macht. Nein, erst ein ausgewachsener Krieg vor
der Haustür brachte uns zu Vernunft, die in diesem Zusammen–
hang ihren Namen nicht verdient. Es braucht einen Krieg, da–
mit wir tun, was nötig ist – und selbst dann tun wir es nicht
umfassend.
Denn der Online-Umsatz anderer Warengruppen sprengt seit
Putins Einmarsch jede Dimension. Der Internet-Verkauf von
Medikamenten zum Beispiel steigerte sich um 40 Prozent.
Warum? Worauf tippen Sie?
Eigentlich logisch, wenn man unsere Klopapier-Hamster-Men–
talität betrachtet: Medikamente gehören zu den Dingen, die
man in den Schutzraum mitnimmt, bevor die Stahltür zuklappt
und ersten Bomben fallen. Nicht nur Prepper decken sich da–
mit ein. Außerdem ist der Verkauf von Schlafsäcken zwischen
Invasionsbeginn und 1. März massiv gestiegen, um – was schät–
zen Sie?
zen Sie?
Er ist um unglaubliche 1.558 Prozent in die Höhe geschnellt.
Aus ähnlichen Gründen. Auf der Flucht vor den brandschatzen–
den Horden aus dem Osten schläft es sich nachts besser in ei–
nem Schlafsack. Ähnlich irre Steigerungen verzeichnen Funkge–
räte, Hygieneartikel und Camping-Kocher. Der Umsatz von
Heizstrahlern schoss um 226 Prozent hoch. Denn wenn Putin
das Gas abdreht, wird die Gasheizung in der Wohnung kalt,
was jene Politiker und Journalisten, die eine Lieferung schwe–
rer Waffen an die Ukraine fordern, notorisch übersehen. Die
heizen sicher nicht mit Gas und womit andere heizen, ist ihnen
egal.
So egal wie es den meisten Online-Kunden ist, dass selbst et–
was digital Bestelltes echt analog ausgeliefert werden muss.
Und das macht derzeit Probleme. Nicht nur, weil die LKW-Flot–
ten der Spediteure nicht so sprunghaft anwachsen können wie
die Online-Nachfrage. Sondern weil bei mehr Nachfrage sogar
weniger Laster und Transporter unterwegs sind, da insbeson–
dere kleine Spediteure sich den ebenso sprunghaft teurer ge–
wordenen Diesel schlicht nicht mehr leisten können und das
Handtuch werfen. Andere passen ihre Frachttarife wöchentlich
an und beides befeuert die Inflation noch weiter, was noch
mehr Spediteure ins Aus drängt, was die Preise noch weiter
hochtreibt … Schon ein kleiner Krieg kann einem den ganzen
Tag versauen – und die halbe Volkswirtschaft. Das ist das ei–
gentliche Thema.
Wir sind technisch so hoch entwickelt, doch die menschliche
Entwicklung steckt angesichts des fürchterlichen Atavismus ei–
nes Krieges wohl noch in Zeiten der Barbarei fest. Wir schießen
Menschen zum Mond, haben uns aber noch immer keine Af–
fektregulation angeeignet, die unsere massenmörderischen
Impulse unter Kontrolle hält. Und noch eines fällt auf: Täglich
grüßt das Murmeltier. Oder wie George Santayana sagte:
Those who don’t remember the past are condemned to repeat
it.
Es ist einigermaßen beunruhigend, wie sehr wir uns im Hams–
terrad der Geschichte im Kreis drehen: Wir haben eine Pande–
mie, danach eine heftige Inflation, gefolgt von einem Krieg.
Rede ich von 2022? Nein, von 1918: Spanische Grippe mit Milli–
onen Toten, danach Hyperinflation und dann der 2. Weltkrieg.
Die historische Parallele der Schockwellen ist frappierend, frus–
trierend und fatal. History repeating itself. Wann lernen wir
dazu?
dazu?