Wir sind abgesackt

Nein, nicht bei den Festivitäten zum 1. Mai, sondern, gravierender: in der Logistik, die ganze Nation.

Bislang waren wir nicht nur Export-, sondern auch Logistik-Weltmeister. Laut Logistics Performance Index (LPI) der Weltbank, mit dem sie die Leistungsfähigkeit der Logistik von 139 Nationen analysiert und rankt. Im laufenden Jahr hat die Weltbank nun als neuen Weltmeister Singapur proklamiert, gefolgt von Finnland und auf dem dritten Platz zusammen mit Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz dann auch Deutschland. Was ist passiert?

Picken wir drei Gründe für unseren „Abstieg“ heraus.

Wir haben zum ersten die Digitalisierung verschlafen. Andere Nationen versorgen sich digitaler. Während also hierzulande zum Beispiel der Lieferfahrer noch mit seinen Lieferpapieren – mit der Betonung auf „Papier“ – unterwegs zum Büro des Supermarktes ist und sich dort in die Schlange der ebenfalls wartenden anderen Lieferfahrer einreiht, bis seine Papiere von Hand entgegengenommen, geprüft, quittiert und ins IT-System eingegeben sind, gibt es in Singapur keine Schlangen, da Fracht weitgehend papierlos transportiert wird, weil alle Lieferdaten längst im Computer sind. Digitalisierung bedeutet Entbürokratisierung, Effizienzsteigerung, Prozessbeschleunigung, Kostensenkung der Abläufe und sogar weniger Fachkräftemangel. Denn je weniger LKW-Fahrer Papier durch die Gänge tragen, desto mehr Kilometer schaffen sie auf der Straße und desto weniger Fahrer benötigt man insgesamt.

Zweiter Schwachpunkt: Wir angeblich so überkorrekten Deutschen hängen im Vergleich mit Singapur insbesondere in Punkto Pünktlichkeit zurück. Nun sollte man meinen, dass es egal ist, wann die Palette Klopapier im Supermarkt ankommt – doch so ist das nicht. Wer zu spät kommt, bringt die eng getaktete Organisation an der Rampe am Liefertag durcheinander und produziert Ineffizienz. Ganz zu schweigen davon, dass auch im Handel für viele Artikel faktisch just in time gilt.

Dritte Schwachstelle: Zoll- und Grenzkontrollen. Auch da hinken wir inzwischen der Tabellenspitze hinterher. Weil auch hier die mangelnde Digitalisierung Zeit und ineffizienten Aufwand kostet. Zu wenig Digitalisierung, zu viel Bürokratie. Wenn also deutsche Eltern keinen Hustensaft für ihre hustenden Kinder bekommen, muss das nicht immer an der störanfälligen fremdländischen Produktion desselben liegen. Es kann auch daran liegen, dass der Saft am Zoll festhängt oder einfach nur unpünktlich ist. Auch unpünktlich belieferte Lager sind leere Lager.

So toll der LPI auch ist, hat er doch einen gravierenden Mangel. Kommen Sie drauf?

Richtig geraten, dank Zeitgeist: Der LPI berücksichtigt nicht die Nachhaltigkeit der nationalen Logistik. Obwohl spätestens seit der Einführung des CO2-Fußabdrucks vor Jahr und Tag das Sustainable Supply Chain Management eines, wenn nicht das neue Schlagwort der internationalen Logistik ist. Die Post produziert ihre E-Kleintransporter inzwischen sogar selbst, viele Paketdienste liefern nicht mehr mit dem Stinkediesel, sondern mit dem E-Bike aus – und der LPI misst das nicht? Kann nicht sein.

Ist aber auch kein großer Schaden, denn es gibt heute genügend Kennzahlen, die wir mit dem LPI kombinieren können; zum Beispiel Zahlen zum CO2-Ausstoß eines Landes rein im Sektor Logistik. Der LPI fand heuer trotzdem heraus: 75 Prozent der gerankten Länder beschäftigen sich konzeptionell mit umweltfreundlicheren Optionen für ihre Exportlogistik. Was das Gebot der Stunde ist.

Picken wir nach diesen drei spezifischen noch einen generellen Punkt heraus, der seltsam verstörend an das Problem des Welthungers und der Armut auf der Welt erinnert: Nahrung und Güter für 8 Milliarden Menschen werden eigentlich mehr als genug auf der Welt produziert. Es gibt massig Butter-, Weizen- und Fleischberge, die auf Halde liegen. Trotzdem hungern Millionen Menschen, weil im 21. Jahrhundert nicht mehr die Produktion der Flaschenhals ist, sondern die Verteilung, sprich Logistik.

Bislang war die Überzeugung: Ja, die armen Entwicklungs- und Schwellenländer kriegen halt ihre Logistik nicht auf die Reihe. Jetzt haben auch wir das Problem. Bei Herzmedizin, Husten- und Antibiotika-Säften für Kinder, bei Roh- und Brennstoffen, bei seltenen Erden … Und obwohl inzwischen mehr als klar sein dürfte, wie wichtig Logistik ist, klebt in den Köpfen von Gesellschaft, Medien, Politik und Wissenschaft (?) immer noch das Paradigma vom Primat der Produktion fest. Wir denken immer noch in Schornsteinen: Raucht? Gut! Eben nicht.

Es kommt nicht mehr so sehr darauf an, was und wieviel produziert wird – das ist höchstens die notwendige Bedingung für den Wohlstand der Nation. Produziert wird genug. Es kommt heutzutage als hinreichende Bedingung für Wohlstand vielmehr darauf an, dass das, was produziert wird, auch pünktlich dort ankommt, wo es gebraucht wird. Wir leben im Zeitalter der Logistik. Wer hat das schon mitbekommen?