Stellen Sie sich vor: Sie wachen morgen früh auf, stehen auf, duschen und gehen in die Küche und – es ist kein Kaffee mehr da! Weder in der Maschine noch im Vorratsschrank noch im Café um die Ecke oder im Büro. Das wäre ein massiver Angriff auf unser Wohlbefinden, unsere Arbeitskraft und unseren Lifestyle. Das BIP würde sich halbieren.
Ganz so schlimm kommt es momentan nicht, doch schlimm genug. Die großen Kaffeeröster haben angekündigt, dass sie massiv die Kaffeepreise erhöhen werden. Zwischen 50 Cent und 1,30 € mehr pro Pfund, das dann so gegen 7 Euro kosten wird. Das sind schlimmstenfalls knapp 20 Prozent Preissteigerung. Heftig. Was wird passieren?
Dasselbe wie beim davongaloppierenden Benzinpreis. So gut wie nichts. Bei Benzin und Kaffee sind wir knallhart. Wir klagen, wir jammern und zahlen am Ende doch jeden Preis. Denn ohne ist das kein Leben. Oder würden Sie auch nur auf eine einzige Tasse am Tag verzichten, bloß weil Kaffee nun so teuer wird? Keine rhetorische Frage; würde mich wirklich mal interessieren. Ich könnte wetten: Alle beklagen die hohen Preise und alle trinken munter weiter. Wer sind „alle“?
Laut Statista sind es 76 Prozent der deutschen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren, die regelmäßig Kaffee trinken. Eine beeindruckende Mehrheit! Die Mengen, die wir dabei wegtrinken, sind schwindelerregend. Weltweit werden jährlich 172 Millionen Säcke Kaffee verkauft – ein Sack hat 60 Kilo. Im Schnitt trinkt jeder Deutsche knapp 170 Liter Kaffee im Jahr. Das sind 1.344 Tassen à 125 Milliliter oder grob dreieinhalb Tassen am Tag. Doch da diese Menge auf rund 80 Mio. Deutsche bezogen ist und bekanntlich „nur“ 76 Prozent davon Kaffee trinken, liegt die tägliche Menge schätzungsweise eher bei fünf Tassen – und auch dieser Durchschnitt verharmlost die Menge. Denn „Durchschnitt“ bedeutet, dass viele sehr viel mehr als den Durchschnitt trinken. Sie rechnen selbst auch nicht in Tassen, sondern in Bürobechern. Die Kaffeesucht im Management ist aktenkundig, die Entziehungskuren ähneln in ihrer Entzugssymptomatik und -dramatik denen harter Drogen.
Die ganze Welt trinkt 35 Milliarden Tassen Jahr für Jahr. Wer trinkt am meisten? Auf welches Land tippen Sie? Sie kommen nie drauf: Niederlande. Dort vertilgt jeder Erwachsene 8,3 Kilo Kaffee jährlich, gefolgt von Finnland, Schweden, Norwegen und von uns. Warum und wozu trinken die Holländer so viel Kaffee? Gute Frage: keine Ahnung, Spekulationen sind willkommen. Wobei schon auffällig ist, dass die ganzen Nordländer die Tabelle anführen. Doch zurück zur Preisfrage: Warum wird der Kaffee schlagartig so viel teurer?
Weil Corona die Lieferkette plattgemacht hat? Nein, weil Kaffee ein Naturprodukt ist und weil Mutter Natur im letzten Jahr in den Streik getreten ist, zum Beispiel in Brasilien. Brasilien liefert rund ein Drittel der Weltkaffeemenge. Brasilien erlebte vor der letzten Ernte eine der schlimmsten Dürreperioden seit 90 Jahren und gleichzeitig einen der heftigsten Frosteinbrüche, was zu deutlichen Ernteeinbußen führte und das wiederum aktivierte das Basisgesetz der Makroökonomie: Angebotsmenge runter, heißt ceteris paribus Preis rauf. Wegen einer einzigen verkrachten Ernte?
Natürlich nicht. Sondern weil die Konzerne bereits heute den langfristigen Trend einpreisen: Sie gehen davon aus, dass die Klimakrise zu weiteren Missernten führen wird und die Erntemengen weiterhin zu gering ausfallen werden. Wir bekommen die Quittung dafür, dass wir das Klima ruiniert haben: Der Kaffee wird knapp. Nun könnte man meinen, dass vielen Büroarbeitern ein kalter Entzug nicht schaden würde.
Doch das ist eine einseitige Betrachtungsweise. Denn Kaffee ist nicht nur die liebste Sucht im Büro, sondern auch gut für die Gesundheit. In Maßen genossen erhöht Kaffee die Wachsamkeit, Energie und Konzentrationsfähigkeit und verringert das Risiko für zahlreiche Krebsarten. Was ein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn ist. Denn lange Jahre kursierte das Gerücht, Kaffee fördere Herz-Kreislauferkrankungen. Das wurde zwischenzeitlich widerlegt. Und für dieses flüssige Gold zahlen wir jetzt also deutlich mehr.
Wer angesichts des galoppierenden Preises leicht depressiv wird, sollte was tun? Am besten schnell einen Kaffee trinken, denn laut einer Studie geht mäßiger Kaffeegenuss auch mit einem geringeren Risiko einher, an Depression zu erkranken. Jetzt im Ernst: Der Kaffee wird teurer – die Welt geht nicht unter.
Genau so ist es auch bei uns in der Familie. Der Kaffee, der uns schmeckt,kostet heute schon 6,99€. Und wenn die Packung dann 7,99€ kostet kaufen wir ihn trotzdem weiter. Weil er uns eben gut schmeckt.
Da sprechen Sie, lieber Norbert, eingängig formuliert eine große Lebensweisheit aus, die gleichzeitig ein ehernes Marktgesetz ist: Wenn es uns schmeckt, also wenn uns der vorzügliche Genuss eines Kaffees oder jedes anderen inzwischen inflationär bepreisten Gutes eben diesen Preis w e r t ist – was ist daran auszusetzen? Und wenn es den Preis nicht mehr wert ist, weil der Preis den Genuss übersteigt – auch gut. Dann kaufen wir was anderes. Einmal scharf drüber nachgedacht ist die Welt der Probleme voller Lösungen! Evi Hartmann