Logistik muss langsamer werden!

Wie bitte? Wo doch heute alles schneller werden muss, von der 24h- über die 1h- zur 5-Sekunden-Belieferung. Heutzutage kann nichts schnell genug gehen – und da soll die Logistik langsamer werden? Wie kann das sein?

Wie kann es sein, dass dieser Gedanke aktuell unter dem Schlagwort „Slow Logistics“ Furore macht? Einfache Antwort: Weil wir mit „immer schneller“ die Welt, unsere Ressourcen und das Klima ruiniert haben. „Fast Fashion“ ist deshalb fast schon verschwunden, fast schon unanständig, uncool, unverantwortlich (was schmerzhaft Arbeitsplätze gekostet hat).

„Immer schneller“ bedeutet auch immer teurer, immer klimaschädlicher und immer ressourcen-verschwenderischer. Genau deshalb möchte Slow Logistics das Tempo rausnehmen, die Kosten senken und die Nachhaltigkeit steigern. Natürlich: Es gibt unter allen denkbaren Umständen immer noch Situationen, in denen Express-Lieferungen und Eilzustellungen nötig und geboten sind. Aber bei zwei Paar Socken und einem Motiv-T-Shirt?

Die große Masse der Warenströme könnte rein theoretisch und konzeptionell auf „klimafreundlich“ heruntergebremst werden. Zur Erinnerung: Auf dem Rhein und jedem anderen schiffbaren Fluss sind auch heute wieder Tonne um Tonne von Gütern unterwegs, die erst in Wochen am Zielhafen anlangen werden: Da ist Tempo piepegal, wenn das erste Schiff in der Reihe nur früh genug startet und danach die Kette nicht mehr abreißt. Rollt der Fahrplan erst einmal, steht die Lieferkette und Tempo ist irrelevant (bis auf Bedarfsausreißer).

Und doch: Als unser Lehrstuhl-Team dieses Thema vor nicht allzu langer Zeit auf einem Fachkongress ansprach, gab es fast Ausschreitungen im Saal. Insbesondere einen verdienten, altgedienten Logistik-Recken hielt es nicht mehr auf dem Stuhl, er sprang auf und schrie zum Podium hoch: „So einen Unfug habe ich ja noch nie gehört!“

Sofort standen zehn andere ebenfalls auf und riefen durcheinander: „Aber das ist doch genau das, was wir heute brauchen!“, „Die Kosten bringen uns um!“, „Und das Klima!“ Einer aus dem Publikum stellte die Frage: „Und wie?“

Genau darum geht es Slow Logistics. Wie können wir absolut lieferfähige und resiliente Lieferketten aufbauen, die nicht das Klima ruinieren? Wie können wir die sieben R’s der Logistik um ein achtes ergänzen: richtig nachhaltig? Eigentlich ganz einfach. Jede Wette: Die meisten von uns haben sich das schon gedacht.

Bei Amazon Prime zum Beispiel bin ich als Besteller zur Schnelligkeit verdammt. Ich kriege es schnell, auch wenn ich es gar nicht schnell brauche. Wie wäre es, wenn ich auch als Prime-Kunde anklicken könnte: „Brauche ich erst in X Tagen“?

Oder: Luftfracht. Es gibt wirklich eilige Güter. Doch es gibt auch täglich Tonnen von fliegenden Gütern, die nur deshalb in der Luft sind, weil irgendetwas in der Lieferkette nicht funktioniert hat und man nun schnell ein Loch stopfen muss, bevor das Regal leerläuft. Umkehrschluss: Bekommen wir die Planung besser hin, müssen wir nicht mit dem Frachtflug das Klima killen, sondern können umweltfreundlicher transportieren.

Das ist es, was Slow Logistics macht: Zeitpotenziale im Wertschöpfungsprozess identifizieren und diese bestmöglich ausschöpfen. Zentrale Frage: Welche Produkte müssen wirklich und ehrlich ge- und welche Kunden wirklich und ehrlich schnell beliefert werden? In Millionen Tonnen von Fällen transportieren wir nur deshalb so hyperschnell, weil wir es können und meinen, uns andernfalls einen Wettbewerbsvorteil zu vergeben. Nötig oder nützlich ist übertriebene Schnelligkeit in diesen Fällen dagegen nicht. Im Gegenteil. Frag das Klima.

Dann: Sendungsbündelung. Wenn wir Bestellungen bündeln, anstatt für jede Socke gleich ein eigenes Päckchen zu kommissionieren, nehmen wir die Verlangsamung der Lieferkette in Kauf, ernten dafür jedoch eine deutlich bessere ökologische und auch ökonomische Bilanz: Slow is beautiful! Das ist ein einfacher Zusammenhang, aber planerisch und organisatorisch eine attraktive Herausforderung. Wer sie meistert, rettet damit nichts weniger als Klima und Welt. Schon wieder. Wir sind für Slow Logistics. Wer noch? Wer macht mit? Wer rettet die Welt langsam?