Ich freue mich einen interessanten Gastbeitrag von Prof. Dr. Matthias Fifka (Professor für Allg. BWL, insb. Unternehmensethik) zur aktuellen europapolitischen Lage ankündigen zu können.
Supply Chains funktionieren dann am besten, wenn diejenigen, die an ihnen beteiligt sind, als Gemeinschaft agieren. Das gilt für Unternehmen, aber auch für politische Akteure. Ihr gemeinsames Ziel sollte es im Sinne eines wirkungsvollen Supply Chain Management (SCM) sein, durch eindeutige Konfigurations- und Koordinationsaktivitäten die in der Gemeinschaft vorhandenen Ressourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Doch davon ist man in der Europäischen Union und ganz besonders in der Eurozone meilenweit entfernt. Das Beispiel Griechenlands verdeutlicht dieses Versagen geradezu mustergültig.
An ihm lassen sich nahezu alle Facetten, die die wissenschaftliche Diskussion um SCM bewegen, abbilden. So stützt sich das SCM unter anderem auf die Chaos- und Komplexitätsforschung. Dass wir seit Februar 2015 eine chaotische, d.h. eine nicht vorhersehbare Entwicklung in den Verhandlungen mit Griechenland beobachten können, steht außer Frage. Dies liegt an der fehlenden Struktur in Entscheidungsprozessen und vor allem an dem fortwährenden Brechen von Regeln, die dadurch unverbindlich und somit wertlos werden. Durch aufgelöste Konfiguration wird Koordination in einem komplexen System unmöglich.
Dies führt zum Grundproblem in der „Griechenland-Krise“, das sich anhand der Prinzipal-Agenten-Theorie erläutern lässt. Die Interessen der Gläubiger (EZB, Kommission und IWF) in ihrer Rolle als Prinzipale sind fundamental verschieden von denen der griechischen Politiker. Letztere sollten in ihrer Funktion als Agenten eigentlich die beschlossenen Reformen zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes umsetzen, verfolgen aber exklusiv eigene Interessen, die in wahlpolitischen Überlegungen und Klientelpolitik begründet liegen. Solche Konstellationen sind Prinzipal-Agenten-Beziehungen – auch in unternehmerischen Supply Chains – zwar inhärent, problematisch werden sie aber vornehmlich dann, wenn keine Regeln existieren oder bestehende gebrochen werden, die opportunistischen Handlungen des Agenten Einhalt gebieten würden. Die sogenannte Troika hat ihre eigenen Regeln nach und nach außer Kraft gesetzt und Griechenland dadurch ermöglicht, den Handlungsspielraum zur Verfolgung der Eigeninteressen auf Kosten der Gemeinschaft beständig auszudehnen. Dadurch dass man dem Agenten signalisiert hat, man werde alles tun, um ihn auch bei Fehlverhalten in der Gemeinschaft zu halten, hat den Opportunismus noch befördert.
Diese politische Raison hat dem ineffizienten Einsatz der vorhandenen Ressourcen, der dem Prinzip des SCM grundsätzlich zuwiderläuft, erst den Weg bereitet. Seit 2010 haben die Gläubiger €230 Milliarden an Unterstützung für Griechenland geleistet, ein wirtschaftlicher Aufschwung ist trotzdem ausgeblieben; im Gegenteil, in einigen Bereichen – etwa bei der Beschäftigung – hat sich die Situation sogar noch verschärft. Grund dafür ist, dass ein großer Teil der Kredite in einer Art Kreislaufsystem entweder dazu verwendet wurde, um bestehende Kredite abzulösen, oder im Sumpf griechischer Bürokratie versickert ist. Zu hohe Transaktionskosten, womit ein weiterer zentraler Aspekt der Diskussion um wirkungsvolle Supply Chains sichtbar wird, haben schlussendlich eine Trockenlegung dieses Sumpfes durch Regelschaffung, -durchsetzung und Kontrolle verhindert – auch weil jegliche Bereitschaft der „Versumpften“ fehlt, das Problem mitanzugehen.
Erstaunlicherweise lassen sich aus diesem politischen Lehrstück, das jedoch anders als bei Lehrstücken üblich keine Best Practice darstellt, wertvolle Erkenntnisse für Unternehmen gewinnen. Naheliegend ist, dass für das Gelingen einer funktionierenden Supply Chain ein kohärentes Regelwerk geschaffen werden muss, an dessen Ausarbeitung alle beteiligt sein sollten, das aber auch für alle Gültigkeit hat, selbst wenn es für einzelne Mitglieder in bestimmten Situationen schmerzlich ist. Tragfähige Regeln sind besonders in komplexen Systemen unerlässlich, obschon realisiert werden muss, dass Regeln nie alle Eventualitäten werden abbilden können. Das erfordert, dass die Partner in den Bereichen, die sich einer formalen Regelung entziehen, auf informalem Wege kooperieren. Darum sollte vorab geprüft werden, ob sie dazu aufgrund ihrer eigenen Strukturen überhaupt in der Lage sind, und die Bereitschaft zeigen, zum Gelingen der Gemeinschaft beizutragen. Sind die administrative und ökonomischen Leistungsfähigkeit der Partner zu unterschiedlich, ist das Potential für ein Scheitern enorm. Weder in einer unternehmerischen noch in einer politischen Supply Chain spricht etwas dagegen, wenn die stärkeren Partner die schwächeren fördern; im Gegenteil, dadurch kann der Verbund noch stärker werden. Voraussetzung aber ist, dass diese Unterstützung zum Zwecke gemeinsamer Ziele gebraucht und nicht für Individualziele missbraucht wird.
Trotz sorgfältiger Prüfung und ursprünglich kohärenter Ziele, können sich sowohl die Interessenslagen der Beteiligten verändern als auch ihre Umwelt, die zunehmend dynamischer wird. Deshalb kann es sinnvoll sein, dass einzelne Partner den Verbund verlassen oder aus diesem entlassen werden, um den Erfolg des bestehenden Netzwerks nicht zu gefährden. Für solche Fälle müssen Regeln und vor allem eine klar bestimmte „Exit-Option“ geschaffen werden. Fehlt eine solche und es verbleiben unverantwortlich agierende Partner im Verbund, das zeigt das Beispiel Griechenlands, ist der Erfolg des Systems in seiner Gesamtheit gefährdet.
Weitere interessante Beiträge von Prof. Dr. Matthias Fifka finden Sie unter: www.matthias-fifka.de