Seid uns dankbar!

Neulich: Meeting der Geschäftsleitung. Der Produktionsleiter meint: „Unser neues Getriebe wird die Antriebstechnik revolutionieren. In wenigen Wochen können wir ausliefern – falls die Unterstützungsfunktionen wie zum Beispiel die Logistik die Markteinführung schaffen.“ Der Leiter der Logistik traut seinen Ohren nicht:  „Unterstützungsfunktion?“

Und er denkt: Das darf ja wohl nicht wahr sein! Wir sind der Motor der Globalisierung. Wir beliefern seit Jahrzehnten jeden Kunden, der das wünscht, just in time, auf die Sekunde genau, zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. Gegen unsere Präzision ist so ein neues Schaltgetriebe ein grober Mechanismus. Wenn wir nicht permanent auf Zuruf flexibel und agil Auftragsspitzen und Auslastungslöcher ausgleichen, bricht die komplette Supply Chain bis hinunter zum Endverbraucher zusammen. Neuerdings verschaffen wir sogar mit unserem Financial Supply Chain Management dem Unternehmen eine deutlich verbesserte Liquidität – und immer noch sind wir in den Augen einiger lediglich eine „Unterstützungsfunktion“? Da hört sich doch alles auf.

Der oberste Logistiker denkt weiter: Der Produktion darf auch mal ein Fehler unterlaufen – das nennt man dann Ausschuss. Wenn wir uns das erlauben würden! Undenkbar. Unvorstellbar. Wir haben noch nicht mal ein Wort für „Ausschuss“! Wir hatten bereits 95-prozentige Delivery Reliability als die Produktion noch ihre Patzer in Tonnen abmaß. Aber honoriert das mal jemand? Nicht die Bohne. Da können wir warten bis wir schwarz werden. Logistik wird als selbstverständlich angesehen – das ist sie nicht.

Die Logistik des 21. Jahrhunderts lebt im Moment den Paradigmenwechsel zum Supply Chain Management vor: Nicht mehr das beste Produkt gewinnt Kunden, Aufträge und Marktanteile, sondern die beste Supply Chain. Davon reden zwar alle. Doch verstanden hat das sicher keiner, der noch von „Unterstützungsfunktion“ redet. Wirklich jeder und jede in der Logistikbranche muss diese oft explizite, meist implizite Abwertung und Geringschätzung der eigenen Arbeit tagtäglich erleben –  das ist kein  schönes Leben. Und völlig unnötig. Undankbare Bande! Denkt der Chief Supply Chain Manager.

Das denkt er alles. Aber er sagt es nicht. Er fürchtet, die Welt wäre überfordert damit. Die Welt müsste sich eigentlich, wenn es mit rechten Dingen zuginge, wenn die Welt die Hand achten würde, die sie 24/7 mit dem Wichtigsten versorgt, jeden neuen Tag mehrfach in Dankbarkeit vor ihm und seinem Logistikteam verneigen. Aber das möchte er der Welt, die nicht selber draufkommt, dann doch nicht zumuten. Und weil er ihr das nicht zumuten möchte, erwidert er seinem Kollegen aus der Produktion nichts von dem, was er eben gedacht hat. Stattdessen sagt er: „Geschätzter Kollege, liebe Geschäftsführung – Sie können davon ausgehen, dass wir den bedeutenderen Teil der Supply Chain auch für das neue Getriebe so zuverlässig wie immer übernehmen werden.“

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