Ganz großes Kino

Schon erlebt? Samsung hat die Virtual Reality, ein bislang eher elitäres Vergnügen, massentauglich gemacht. Mit der Gear VR, einer VR-Brille fürs Smartphone (und nein: Wir werden nicht gesponsert). Auch andere Hersteller bieten solche Brillen für Smartphones jedweder Art an. Lange war Virtual Reality so etwas wie der Heilige Gral der Unterhaltungselektronik. Jetzt kann sich jede(r) das Vergnügen vor die Nase holen.

Die virtuelle Achterbahnfahrt beispielsweise, das Lehrstuhl-Team hat das adrenalisiert selber getestet, dreht einem jetzt wirklich den Magen und stellt die Nackenhaare auf. Städtereisen und Besichtigungen werden zu einem die Sinne berauschenden Erlebnis. Hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber: Wir Logistiker kennen den Effekt.

Was für den Sofasurfer die VR ist, ist für das Supply Chain Management die AR, die Augmented Reality. Der Lagerarbeiter zum Beispiel fährt nicht virtuell Achterbahn, sondern sieht beim Pick by Vision ohne langes Gesuche und Rumgelaufe auf Anhieb den richtigen Regalplatz für seinen Pick. Dank Brille, die ihm den roten, virtuellen „Hier liegt der gesuchte Artikel!“-Pfeil direkt ins reale Sichtfeld der Regalreihen einblendet. Was das (bislang noch in Pilotprojekten) an Kosten spart und die Effizienz beim Kommissionieren steigert! Atemberaubend.

Umso seltsamer die AR-Schlagseite: Bis dato wird für AR in Unterhaltung, Multimedia und Games weltweit doppelt so viel ausgegeben wie für AR-Technologie in Unternehmen. Da klafft ein monumentaler Aufholbedarf aufs 21. Jahrhundert. Warum?

Wie immer bei hochfliegenden Visionen: Wegen komplett banaler Dinge eigentlich. Für die drei Minuten Achterbahnfahrt oder eine Stunde Gaming reichen die Akkus locker. Aber für acht Arbeitsstunden? Ohne dass man einen Akkukoffer mit sich schleppen muss? Not yet. Könnten solche Nickligkeiten beseitigt werden, ergeben sich Quantensprünge der Logistik. Zum Beispiel in der Paketauslieferung.

Was schätzen Sie: Was kostet Ihren freundlichen Zusteller die meiste Zeit? Nein, es ist eben nicht das eigentliche Ausliefern. Vielmehr verliert er 60 Prozent seiner Arbeitszeit im Laderaum seines Kleintransporters, wenn er im Paketberg nach Ihrem Paket sucht – und dann beim Suchen nach der richtigen Hausnummer, Wohnungstür und Türklingel. Das meiste dieser 60 Muda-Prozent würde mit einem Schlag wegfallen, wenn die AR-Brille ihm zweimal den roten Pfeil machen würde: „Hier liegt die gesuchte Sendung!“ und „Bitte nicht an der Vorderseite unter 80 Klingeln nach dem Namensschild suchen, sondern gleich in den Hinterhof und dort klingeln, zweite Tür rechts, Klingel ganz oben.“ Solche sachdienlichen Hinweise würden Millionen Euro einsparen. Und Jahre an Zeit bei der Auslieferung. Allen Beteiligten: den Unternehmen, dem Zusteller, den Kunden. Noch viel mehr Güter wären noch viel schneller an noch viel mehr Haustüren. Aus diesem Grund erscheint Technologieskepsis für den Konsumenten als Atavismus, für Unternehmer und Logistiker geradezu als geschäftlicher Suizidversuch. Aus einem einfachen Grund.

Vielleicht möchte man als kostengeplagter Dienstleister nicht ständig in neue Technologien investieren müssen. Doch die Kunden wollen eine moderne Supply Chain! Und der Mitbewerb weiß das. Der Konkurrenzdruck ist enorm. Ob bei Smart Data, Drohnen oder der AR-Brille. Deshalb hat jeder führende Logistikdienstleister bereits sein Pilotprojekt gestartet. Damit man tech-fit und prozesskompetent ist, wenn die technischen Nickligkeiten beseitigt sind. Viele Kritiker sagen: „Wir können doch nicht alle mit diesen klobigen Brillen durch die Gegend laufen!“

Denen sei gesagt: Der technische Fortschritt mag nicht immer ein zivilisatorischer Fortschritt sein. Doch das juckt ihn nicht. Er schreitet unbeeindruckt voran. Die Entwickler tüfteln bereits an Kontaktlinsen, die mit Hunderten winziger LEDs alles einblenden werden, was das Bild der Zukunft braucht.