Christmas Supply Chain

Eigentlich müssten wir uns dafür entschuldigen, dass auch wir heute von Weihnachten reden. Das Hochfest christlicher Tradition ist wegen seiner zweckentfremdeten kommerziell-medialen Übersättigung kaum mehr vermittelbar.

Schon seit Ende August grinsen uns Weihnachtsstollen und Lebkuchen aus den Regalen der Discounter penetrant verführerisch entgegen. Und TV kann man in diesen Wochen gar nicht mehr gucken, weil man schon allein vom Konsum des massiven Weihnachtswerbebombardements wahlweise ins diabetische Koma fällt oder in die Verschuldungsfalle gerät. Etwas erträglicher wird der ganze Trubel dann, wenn wir erkennen, dass der Werbe-Overkill nicht der mutwilligen Störung eines ausgeübten Glaubens dient, sondern in großen Teilen der nackten Risiko-Vorsorge des Handels. Wobei das Risiko schon lange vor Weihnachten virulent wird; zum Beispiel am Black Friday.

Das ist der Freitag nach Thanksgiving. An diesem Tag allein setzt der deutsche E-Commerce (2015) 332 Mio. Euro um – und wir hier in Deutschland feiern noch nicht mal Thanksgiving. Zusammen mit dem darauffolgenden Cyber Monday wird knapp eine Milliarde Euro Umsatz gemacht. Wenn der Handel Glück hat. Denn für diese beiden Tage wie für die gesamte Advents- und Weihnachtszeit hat er unvorstellbare Mengen an Lagerbeständen aufgebaut – ohne im Voraus genau zu wissen, wie Friday, Monday und Weihnachtsgeschäft heuer werden. Dann bleiben halt ein paar Geschenkkartons nach Weihnachten über, was soll’s?

Die Tragweite des Problems wird vielleicht deutlicher, wenn wir das Gedankenspiel nicht mit Kartons, sondern mit Weihnachtsgänsen anstellen. Die werden zu Abertausenden aufgezogen, gemästet und geschlachtet – und niemand weiß, wie viele Familien sich in diesem Jahr eine Gans leisten werden, wollen oder können. Trotzdem werden viele Gänse (zu viel) aufgezogen, gemästet und geschlachtet. Vegetarier bitte ich an dieser Stelle um Nachsicht. Schon Lebkuchen wegzuwerfen ist – bemühen wir ein altes, vergessenes Wort – eine Sünde. Aber Lebewesen? Da hört der Spaß gänzlich auf. Also was tun?

Abgesehen von radikalen Optionen bleibt oft nur das, was wir Kaufleute besonders gut können (sollten): Wir wägen ab. Zwischen Überbestand und Fehlbestand. Beides ist unglücklich, doch die Art unserer Abwägung wird stark davon beeinflusst, dass es Überbestände stärker sind.

Denn wenn zwei, drei Tage vor Weihnachten einige Artikel vergriffen sind, ist das weniger tragisch: Jene unter uns, die gezielt ihre Geschenke einkaufen, haben sie längst. Und die Last Minute Shopper sind einfach nur froh, wenn sie „was Passendes“ finden – und passen tut immer was. Bei der Reichhaltigkeit des westlichen Angebots gibt es keine Fehlbestände diesbezüglich. Daher schaden Fehlbestände (in Grenzen) nicht.

Denn ironischerweise lösen Fehlbestände beim Käufer nicht (nur) den Eindruck aus: „Der Laden ist schlecht sortiert!“, sondern auch: „Das ist schon aus! Also lieber schnell bei dem zuschlagen, was noch da ist – bevor auch das weg ist!“ Merke: Schon vor Erfindung der Algorithmen waren wir Verbraucher sowas von berechenbar.

Die eigentliche Kunst des Supply Chain Managements in der Weihnachtszeit besteht neben der gekonnten Abwägung der Bestände auch darin, die Lieferkette sehr reaktionsfähig zu halten. Zum Beispiel für Last Minute Orders, wenn der Händler oder Hersteller merkt: Dieser Artikel läuft unerwarteterweise besonders gut! Oder gar: Das ist der Überraschungsrenner! Wenn man dann sechs Wochen warten muss, bis das Containerschiff aus China eintrifft, kann man die Bestellung gleich vergessen. Das hört die Globalisierung nicht gerne.

Doch die Christmas Supply Chain ist dann ideal agil und flexibel, wenn die Produktion nahe beim Handel sitzt. Was dann nicht nur Produktion, Handel und Kunden freut, sondern auch die Umwelt: Was nahe ist, spart lange Transportwege und schont so auch die Umwelt. Wer so schenkt, schenkt doppelt.

Dasselbe gilt für Geschenke, die nicht nur die Beschenkten glücklich machen, sondern auch jene, die diese in fernen Ländern herstellen. Gerade Menschen, bei denen das Schenken schwerfällt, weil sie schon alles haben, sind dankbare Empfänger solcher Präsente, die erkennen lassen: Da hat sich jemand die richtigen Gedanken gemacht. Nicht nur über das Geschenk und den Beschenkten, sondern auch darüber, wie man mit einem Geschenk mehr Menschen eine Freude machen kann als „bloß“ dem Beschenkten: Nachhaltiges Schenken für eine bessere Welt.bestan