Drohnen. Kein Zweifel: Die kommen! Wenn es darum geht, wer uns die Päckchen bringt, dann gehen wir inzwischen wie selbstverständlich davon aus, dass die urbane Belieferung in den nächsten Jahren auch von Drohnen übernommen wird. Doch ganz aktuell funkt in diesen Tagen den Drohnen etwas dazwischen: Das Intelligent Logistics Express-System (ILE).
Das ILE kommt uns auf den ersten Blick (Bild) genial vertraut vor: Es sind schlicht Gondeln, die Päckchen transportieren. Über unseren Köpfen und auf Straßenlaternenhöhe, mit bis zu 60 km/h und bis zu 100 kg Zuladung – das ist schon jetzt deutlich mehr als jede Paket-Drohne. Und sicherer obendrein: Niemand muss mehr fürchten, dass ihm eine von Piraten abgeschossene oder „bloß“ defekte Drohne auf den Kopf fällt. In diesen Tagen präsentierten die chinesischen Entwickler das ILE stolz der Weltöffentlichkeit – und die Begeisterung in der Logistik ist entsprechend groß.
In China läuft bereits eine 15 km lange Teststrecke, die zwei Regionen miteinander verbindet. Auf jeden Fall umweltfreundlicher als die üblichen Liefer-Transporter mit Dieselmotor. Und zu geschätzt der Hälfte der Kosten von traditionellen Transportmitteln. Auch weil das ILE vollautomatisch läuft – daher das „I“ in ILE: Das System ist intelligent, optimiert sich selber, weil jede Gondel mit Sensoren ausgestattet und voll vernetzt ist. Eine Künstliche Intelligenz rechnet je nach Auslastung der einzelnen Gondelstrecken den schnellsten Lieferweg aus und lernt laufend dazu.
Die Idee mit den Gondeln ist so genial einfach, dass man sich fragt, warum nicht früher schon jemand draufgekommen ist. Oder amazon. Wobei: Wahrscheinlich schnappt sich amazon gleich die Idee und stattet erste Metropolen mit den Gondeln aus. Die 1-Stunden-Belieferung in der Stadt wäre damit nicht nur für die fünftausend am meisten nachgefragten Artikel möglich, sondern fürs komplette Programm – und das im Gegensatz zu aktuellen 1h-Angeboten nicht nur kostendeckend, sondern auch profitabel.
Das Bestechende an der genialen Gondel-Idee ist auch, dass sie bereits jetzt technisch machbar ist. Und dass nicht wie bei den Drohnen erst langwierig und gesetzgeberisch geklärt werden muss: Wo, wann und wie dürfen Drohnen fliegen? Die Seilbahnen für die Gondeln könnten praktisch sofort installiert werden. Damit das ganze System wirklich auch bis zum Endkunden vollautomatisch ablaufen könnte, müssten allerdings auch Hausanschlüsse installiert werden. Sozusagen Briefkästen für die Gondel oder vorübergehende Gondel-Garagen, in denen die Gondeln entladen werden.
Das alles ist keine Raketenwissenschaft. Das ist rein technisch heute schon problemlos machbar und vor allem mit vertretbarem Aufwand. So könnte jede Stadt in Zukunft zu einem eigenen Versorgungsnetzwerk kommen, ähnlich der heutigen Strom-, Gas-, Wärme- und Wassernetzwerken. Die Innenstädte würden ganz heftig vom Lieferverkehr entlastet werden. Doch nicht nur für Städte wäre das eine Revolution.
Revolutionär ist auch der Quantensprung in der Logistik. Denn oft ging aus Gründen der Effizienz die Entwicklung hin zu gebündelten Volumina mit wenigen Lieferungen: Man packt einen großen LKW voll mit Bestellungen und fährt diesen dann in der Stadt herum. Die Gondel stellt dieses Paradigma auf den Kopf: geringe Volumina mit vielen Auslieferungen. Also viele kleine Gondeln mit geringer Zuladung, die jede einzelne Bestellung ruckzuck ins Haus bringen. Was wiederum die Erkenntnis bestätigt: Man muss anders denken, um alle Chancen der Digitalisierung nutzen zu können. Und all das kommt ausgerechnet aus China.
Früher als die verlängerte Werkbank der Welt und als Billigproduzenten bekannt, machen sich die Chinesen jetzt offensichtlich daran, die Innovationsführerschaft zu erobern. Und nicht nur das. Sie sind auch sehr schnell beim Umsetzen ihrer Innovationen. Gerade und leider auch im Vergleich zu uns hierzulande. Was das immer dauert, bis bei uns eine gute Idee endlich realisiert werden kann und darf! In China geht das teilweise sehr viel schneller. Die Chinesen setzen Vorhaben schon um, während wir noch Konzepte diskutieren und mit der fünfzigsten Interessengruppe auch noch haarklein verhandeln, was sie alles daran auszusetzen hat.
Außerdem zeigen uns die Gondeln: Es muss nicht immer alles hochtrabend, komplex und High Tech sein, was neu und innovativ ist. Am genialsten sind oft die einfachsten Ideen. Die Gondeln sind genial und genial einfach. Ich bin gespannt, ob und wann sie auch über unseren Häuptern die Straßen rauf und runter flitzen.