Nobelpreis!

Schon vor Monaten fanden wir Richard H. Thaler gut, erinnern Sie sich? Ganz bestimmt, wenn Sie „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ gelesen haben oder auch „Wie viele Sklaven halten Sie?“. In beiden Büchern spielt die Verhaltensökonomie eine zentrale Rolle. Das fanden wir gut. Jetzt fand das auch das Nobelpreis-Komitee: Richard H. Thaler, der Autor von „Nudge“ und Professor an der Booth School of Business an der University of Chicago, bekam den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis. Er gilt als einer der Begründer der Verhaltensökonomie.

Das ist ein großes Wort für einen Umstand, mit dem wir ganz normalen Menschen im Grunde besser vertraut sind als jeder Nobelpreisträger. Gemeint ist der Umstand, dass der Mensch eben kein Homo Oeconomicus ist, der streng rational nur seinen eigenen Nutzen maximiert, sondern ein Wesen mit oft seltsamem bis bizarrem Verhalten. Und eben dieses Verhalten macht die neue Ökonomie zur Basis wirtschaftlicher Überlegungen.

Seltsam ist zum Beispiel, dass wenn wir eine Uhr für 100 Euro kaufen wollen und wir sie irgendwo anders 10 Euro billiger bekommen, wir sie dann doch lieber dort kaufen. Wenn wir dagegen ein Auto für 20.000 Euro kaufen wollen und wir dasselbe Fabrikat beim Händler eine Ortschaft weiter 10 Euro günstiger bekommen könnten, tun wir genau das nicht. Obwohl 10 Euro 10 Euro sind. Es ist dasselbe Geld, das gleiche Auto – aber unser Verhalten ist ein anderes.

Wir fassen auch, nicht nur zu Neujahr, jede Menge guter Vorsätze, von denen die meisten nur wenige Tage überleben. Warum? Richard H. Thaler untersucht seit Jahren die Gründe und Beweggründe unseres oft seltsamen Verhaltens und hat festgestellt:

1.    Wir Menschen sind eben nicht total rational, wie die Wirtschaftswissenschaft jahrzehntelang unterstellte, sondern wir verfügen lediglich über eine begrenzte Rationalität (10 Euro sind für uns eben nicht immer 10 Euro).

2.    Wir sind auch keine reinen Egoisten, die nur an ihren Nutzen denken, sondern haben sehr wohl eine Vorstellung von Fairness und Gerechtigkeit, die eben auch unser wirtschaftliches Verhalten beeinflusst – sonst würde zum Beispiel niemand faire Bananen, Kleidungsstücke oder Kaffee kaufen.

3.    Wir leben mit einem deutlichen Mangel an Self-Control, an Disziplin. Wir konsumieren auch Dinge und Dienstleistungen, die uns nicht gut tun: Drogen, Alkohol, zu viel Nahrung, Binge Watching …

Weil das so ist, hat Richard H. Thaler das Nudging (gesprochen: „Natsching“) ins Leben gerufen, um Menschen zu helfen, leichter und schneller jene Entscheidungen zu treffen, die gut für sie sind. Nudges sind sanfte Stupser, Denkanstöße, die niemanden unter Druck setzen, aber es leichter machen, sich selber Gutes zu tun.

So ein Nudge hilft zum Beispiel abnehmen. Fast die einzige Diät, die unter Garantie funktioniert, ist: Nehmen Sie ganz einfach kleinere Teller. Essen Sie Ihr Mittagessen vom Frühstücksteller. Menschen essen weniger, wenn der Teller kleiner ist: automatisch, ohne darüber nachzudenken und ohne großen Aufwand an Selbstdisziplin und eisernem Willen.

Auch Regierungen, Ämter und Ministerien nudgen. So stellte man beispielsweise fest, dass viele Hauseigentümer die Subventionen für die Renovierung ihrer Dachstühle nicht abrufen. Nicht weil die staatlichen Zuschüsse nicht groß genug wären – sie sind es. Sondern weil viele Eigentümer denken: „Wenn ich die Dachdecker kommen lasse, muss ich zuerst den Dachboden aufräumen – und davor graut mir!“ Bieten Staat und Handwerker mit der Energiesparsanierung des Dachstuhls auch gleich einen Entrümpelungsservice an, entscheiden sich sehr viel mehr Menschen für eine Renovierung – obwohl die Renovierung und der Zuschuss an sich dieselben geblieben sind. Doch der Entrümpelungsservice gibt den entscheidenden Anstoß, den Nudge. Ohne dass jemand gezwungen werden musste.

Im Gegenteil: Hinterher haben alle was davon. Deshalb heißt es Nudging und nicht Manipulation. Auch Unternehmen nudgen, zum Beispiel beim Health Care Management: Sie lassen Aufzüge langsamer fahren und deren Türen langsamer öffnen und schließen – und schon nehmen mehr Angestellte, Manager und Mitarbeiter öfter die Treppen, bleiben gesünder (was ihnen gut tut) und melden sich seltener krank (was dem Unternehmen und seinen Kunden gut tut). Menschen verhalten sich seltsam oder eben: menschlich.

Richard H. Thaler hat mit seinen Überlegungen zu diesem seltsamen Verhalten die Ökonomie menschlicher gemacht. Das ist doch einen Nobelpreis wert.