Die Nachricht ist ein Paukenschlag: Lidl, der Handelsriese, zieht sich in diesen Tagen aus dem Online-Handel mit Lebensmitteln zurück. Da kommen wir ins Grübeln.
Bis jetzt suggerierten die Schlagzeilen von Medien und Internet: Online ist besser, schneller, boomt und verdrängt den traditionellen Handel! Nicht umsonst heißt es „Digitale Revolution“. Was macht die Revolution? Eine Pause? Oder schwingt das Pendel gar zurück?
Die Lage ist erfrischend verwirrend: Während Lidl sich bei Online-Lebensmitteln zurückzieht, startet Amazon Fresh nach Hamburg und Berlin jetzt in München. Aber gleichzeitig gibt Amazon bekannt, dass der Lebensmittel-Lieferdienst in einigen amerikanischen Städten eingestellt wird.
Einer der Gründe: Die US-Post hat ernsthafte Probleme mit den Papierverpackungen der Lebensmittel. So ernsthaft, dass die Pünktlichkeit und Frische der Belieferung oft nicht gewährt werden konnte. Wir grübeln weiter: Bis jetzt wurde das Internet und der Online-Handel doch immer als The Next Big Thing gehypt, jetzt erfolgt die Ernüchterung. Warum?
Die Zahlen zeigen: Bis jetzt haben lediglich grob 20 Prozent der Konsumenten Lebensmittel online gekauft. Das heißt: Alle reden zwar darüber, doch die große Mehrheit von uns kauft weiterhin in Supermarkt und Discounter. Von dieser 80%-igen Mehrheit haben 47 Prozent auch nicht vor, Lebensmittel in Zukunft online zu bestellen. Folgerichtig glauben auch 88 Prozent nicht, dass der stationäre LM-Handel jemals schließen muss. Sie glauben vielmehr, dass sich Internet und stationärer Handel ergänzen. Warum die Zurückhaltung? Aus drei Gründen:
1. Die Mehrheit der Konsumenten, die Lebensmittel nicht online kaufen wollen, ist skeptisch wegen Qualität und Frische: Im Laden können wir tasten, ob die Gurke auch knackig fest ist und wie der Apfel riecht – im Internet nicht.
2. Online-Lebensmittel sind oft teurer – und es kommen noch die Versandkosten hinzu.
3. Viele skeptische Konsumenten trauen den Lieferdiensten nicht zu, Frisches tatsächlich zeitgerecht und pünktlich anzuliefern.
Aus diesen Gründen bestellt bislang in Deutschland nur jede(r) Achte regelmäßig Lebensmittel online; im Schnitt für 25 bis 50 Euro. Rund fünf Prozent der Besteller kauften online für 100 Euro und mehr, also praktisch den Wocheneinkauf.
Platzhirsche beim LM-Online-Handel sind Rewe Online mit knapp 45 Prozent Marktanteil, gefolgt von All you need fresh (ein reiner Online-Händler) mit rund 20 Prozent und an dritter Stelle Amazon Fresh mit 14,5 Prozent – Amazon ist erst in jüngster Zeit gestartet und bislang lediglich in Hamburg, Berlin und jetzt München.
Lidl seinerseits hatte keine frischen Lebensmittel im Online-Angebot, sondern Artikel wie Reis, Mehl oder Nudeln. Aber auch die gibt es jetzt nicht mehr online. Noch verwirrender: Dafür plant Lidl nun einen Lebensmittellieferservice in den USA; mit logistischer Unterstützung eines Startups. Lieferung binnen einer Stunde, spätestes am selben Tag. Läuft in den USA das Internetgeschäft wieder einmal besser? Sieht so aus. Die Amerikaner sind mit Supermärkten und Discountern nicht so dicht versorgt wie wir hierzulande, also wäre theoretisch mehr Platz und Bedarf für Online-Bestellungen vorhanden.
Amazon hat in München übrigens prominente Unterstützung: Der US-Gigant arbeitet mit Dallmayr zusammen. Mehr als 300.000 Produkte sind abends schon da, wenn sie bis Mittag bestellt werden. Amazon hat dafür im Osten von München extra eine neue Lagerhalle gebaut, von der aus verschickt wird, während in einigen amerikanischen Städten der Service gestrichen wurde – was Amazon nicht sonderlich beeindruckt.
Der Internet-Riese sagt von sich selber, dass er gerne experimentiere und neue Dinge ausprobiere. Für ihn ist der Teilrückzug in den USA kein Fehlschlag, sondern lediglich eine lohnende Erkenntnis. Probieren geht über Studieren – danach handeln zumindest viele US-Konzerne.
Dass Lidl keine Online-Lebensmittel mehr liefert, hat für uns Verbraucher übrigens kaum Folgen: Rewe Online, Alle you need fresh und Amazon Fresh liefern weiter.