Eine Utopie ist keine Lösung

Schöne neue Welt: Amazon testet Flugdrohnen für die Paket-Zustellung, in Hamburg fährt ein Zustell-Roboter im Pilot-Projekt Päckchen aus. Einmal davon abgesehen, was diese „Zukunft der Zustellung“ mit den Arbeitsplätzen der Paketboten anstellt: Echt jetzt?

Diese Frage stellt sich auch t3n, das Magazin der digitalen Pioniere. Es stellt sie sich in einem Beitrag, auf den wir jüngst stießen und der diese werbe-trächtig propagierte Zukunft eher als Utopie betrachtet. Denn auf absehbare Zeit werden aus Sicht der digitalen Pioniere weder Drohnen noch Roboter unsere Online-Bestellungen an der Haustür abliefern. Diese Hochglanz-Technologien haben kaum Aussicht, eine wesentliche Entlastung der Logistik auf der letzten Meile zu erreichen. Unsere Innenstädte werden jetzt von Staus und Staub verpestet und brauchen jetzt Entlastung – und nicht erst, wenn irgendwann die Drohnen fliegen.

Diese Entlastung ist dringend nötig und könnte auch recht schnell geleistet werden – wenn man seine Zeit und Energie nicht Drohnen und Robotern widmen würde. Entlastung zum Beispiel in Form neuer Ladebuchten.

Gerade in vielen Innenstädten parken die Liefertransporter praktisch von Berufs wegen in der zweiten Reihe, um ihre Sendungen auszuliefern. So zeigt eine Studie der Unternehmensberatung PWC, dass der Güterverkehr in den Städten zwar lediglich 20 bis 30 Prozent des urbanen Verkehrs ausmacht, aber für 80 Prozent der Staus verantwortlich ist (das Pareto-Prinzip in Reinform). Mit zusätzlichen neuen Ladebuchten könnte man das Problem entschärfen. Oft wäre dafür sogar auch der nötige Platz vorhanden – doch die bürokratischen Wege der Stadtplanung benötigen häufig das Zigfache der Zeit, die ein Markier-Trupp für die Markierung der neuen Buchten bräuchte.

Eine Studie der Universität of Washington, Seattle, zeigt auch: Schon allein eine Reduktion der fehlgeschlagenen Zustellungen und der Entladezeit vor Gebäuden würde die Situation deutlich verbessern. Eine andere Lösung: Paketstationen und andere Sammelpunkte. Rein theoretisch eine gute Lösung. Rein praktisch registrieren viele von uns, die diese Einrichtungen bereits nutzen: Häufig sind alle Plätze für Pakete bereits ausgebucht. Ein Ausbau wäre dringend nötig und binnen weniger Monate zu schaffen – die Drohnen und Roboter brauchen noch Jahre.

Die Universität of Washington fand auch heraus: Werden Sendungen für Wohnblöcke und Hochhäuser gebündelt an einer einzigen Sammelstelle angeliefert, führt das zu einer 73%-igen Entlastung der Zusteller. Auch das könnte man eher kurzfristig und mit vertretbarem Aufwand erreichen. Man müsste halt aus der Comfort Zone herauskommen und einen gemeinsamen Beschluss fassen, was für viele notorisch zerstrittene oder dauerdiskutierende Miteigentümergemeinschaften möglicherweise eine prohibitive Voraussetzung darstellt – aber genau so sicher nicht für alle.

Und schließlich bestätigt die PWC-Studie, was wir alle täglich beobachten: Erst kommt die Post und der Hermes, dann DPD und GLS und alle anderen Lieferdienste – die fahren brav hintereinander her! Zig Lieferdienste für dieselbe Adresse. Kein Wunder sind die Innenstädte verstopft. Wie wäre es mit einer Gebietsaufteilung von Gesetzes wegen? Oder auf dem Weg einer Stadtverordnung? Oder mit einer Vernetzung der Lieferdienste zum Zweck einer gemeinsamen Nutzung der Infrastruktur? Ich weiß, das sind kühne Gedanken. Manche machen sie sich ungern. Die Medien prügeln lieber auf den Diesel ein. Ist einfacher.

Was die PWC-Studie auch herausfand: Die meisten Kommunen haben wenig Pläne, um die Verkehrsüberlastung zu reduzieren. Die meisten Kommunen – einigen ist die Lebensqualität und die Gesundheit ihrer Stadtbewohner dann doch etwas wert: In Amsterdam zum Beispiel werden immer mehr Pakete auf Schiffen durch die Grachten transportiert. Essen, Nürnberg und München haben keine Grachten. Aber für jede Stadt eine individuelle Lösung zu finden – wäre das so schwer?