Ich fahre auf der Autobahn, linke Spur. Weil rechts ist alles mit LKWs voll. Manche AutofahrerIn freut das (so viele schöne Online-Bestellungen unterwegs), manche stresst das, mich lässt das rätseln.
Ich rätsle, weil ich von Berufs wegen weiß: Mehr als ein Fünftel der LKW’s ist nicht mit Bestellungen, Handelsware und Lebensmitteln gefüllt, sondern leer unterwegs. Über die Hälfte der Laster sind nur halbvoll auf der Straße. Also rätsle ich: Wir schaffen es, Menschen ins All zu schießen, schaffen es aber nicht, (halb) leerfahrenden Lastern anständige Rückfrachten zu beschaffen? Wie kann das sein? Warum kriegen wir dieses buchstäblich zum Himmel stinkende Problem nicht in den Griff?
Eine mutige Antwort auf diese peinliche Frage versuchen derzeit die sogenannten Digital Freight Matching Platforms, die digitalen Plattform-Konzepte der Logistik. Es ist höchste Zeit.
Denn das Problem nimmt eher zu als ab und daran sind auch wir schuld. Wer will denn als notorisch ungeduldiger Kunde, als konsumzappelige Kundin in Zeiten von 24-Stunden- und gar 1-Stunden-Lieferung warten, bis der nächste LKW vollgeladen ist und abfahren kann? Oder bis der abgefahrene und abgeladene LKW eine passende Rückfracht findet, bevor er wieder zu seinem Standort zurückmuss, um schnellstmöglich weiter auszuliefern? Nein, wir wollen alles und das sofort und (nicht nur) deshalb fahren so viele Laster halb/leer durchs Land.
Sie fahren auch deshalb so oft leer durch die Gegend, weil es zwar im Prinzip genügend Rückfrachten gäbe, aber nicht genügend Transparenz: Woher soll der LKW-Fahrer oder seine Spedition nach dem Abladen wissen, dass drei Straßen weiter eine Rückfracht auf sie wartet? Fracht und Fahrer fanden bislang nicht ausreichend zusammen. Ein Problem wie geschaffen für die Digitalisierung und für den digitalen Marktplatz.
Denn dieser virtuelle Marktplatz kann grob gesprochen eine unbegrenzte Menge Information aufnehmen und transparent weitergeben. Wenn alle Frachten an so einen Marktplatz gemeldet würden, wäre die Auswahl an Rückfrachten dramatisch größer als bisher. Das Prinzip ist uns bestens vertraut.
Zum Beispiel von AirBnB: Alle freien Zimmer einer Stadt auf einen Blick. Oder von Amazon: Alle lieferbaren Bücher auf einen Blick. Oder von der Blockchain. Das Problem an diesen digitalen Plattformen: Sie eliminieren den Mittelsmann und die Mittelsfrau. Amazon rottet (in den USA bereits erfolgreich) den stationären Buchhandel aus. AirBnb nimmt den Reisebüros viel Geschäft weg. Die Blockchain macht Banken (theoretisch) überflüssig. Was natürlich weder Amazon noch AirBnb oder die Blockchain weiter stört. Oder uns. Oder potenzielle Fracht-Versender.
Denn auf so einer digitalen Plattform können sie sehr viel besser die Preise vergleichen, günstiger einkaufen, Frachtkosten sparen. Die Speditionen können ihre Kapazitäten besser anpreisen und vor allem besser auslasten: weniger Leerfahrten! Deshalb gibt es bereits etliche dieser Plattformen, zum Beispiel auch von DHL, DB Schenker oder UPS. Kleiner Haken: Diese Plattformen sind nicht neutral, sondern an die großen Logistikdienstleister gebunden.
Deshalb gibt es inzwischen einige neutrale Plattformen, auch als Startups, zum Beispiel Cargonexx (Slogan: The Future of Trucking). Relativ neu im Geschäft sind auch – wer hätte es gedacht? – Uber Freight und selbstverständlich Amazon mit seiner Relay App. Die großen Spediteure wehren sich natürlich nach Kräften dagegen. Doch wir leben im Zeitalter der Digitalisierung: Wer aus Big Data mit seinen Algorithmen zuverlässig Smart Data machen kann, braucht noch nicht einmal Laster und Gabelstapler, um gut ins Geschäft zu kommen: Daten sind das neue Kapital.
Einige dieser Plattformen ordnen Fracht und Frachtführer einander automatisch zu, andere machen das via Bieterverfahren: Wer am meisten bietet, kriegt den Zuschlag. Wobei das „wer“ in der digitalen Ära nicht länger ein Mensch sein muss.
In einer nicht allzu fernen Zukunft kann und wird das „wer“ auch eine Maschine sein. Auch LKs zum Beispiel können und werden mitbieten. Dank Sensoren und Vernetzung, gemeinhin als Internet der Dinge bekannt, werden die Laster und andere smarte Dinge bald selbst in der Lage sein, ins Netz zu stellen, wieviel Transportkapazität sie für bestimmte Strecken im Moment und auf absehbare Zeit zur Verfügung stellen können. Dann verhandelt beispielsweise ein LKW autonom und automatisch mit einem Auslieferungslager und schließt dank Smart Contracting auch eigenständig und maschinell den Frachtvertrag ab. Ein Praktiker aus der Logistik meinte dazu halb scherzhaft, halb in Sorge um seinen Job: „Ich hoffe, der LKW ist dann auch stolz auf seine Leistung!“ Wie gesagt: halb im Scherz.
Denn die andere Hälfte ist: Schon heute werben Handy-Hersteller mit Künstlicher Intelligenz in den neuen Smartphones. Wenn der LKW, der für sich selbst Verträge abschließen kann, über eine KI mit Affektsimulation verfügt, dann freut er sich tatsächlich! Schöne neue Welt.
Ich träume gerade.
DHL liefert 24 Paletten an einen Kunden von Nürnberg nach Berlin. Der LKW ist leer und in Berlin warten 24 Paletten ( der Auftraggeber sitzt im gleichen Industriegebiet ) zum Transport nach Nürnberg, den Auftrag hat aber Dachser erhalten.
Ob ich es noch erlebe, dass die Logistiker es schaffen, den Transport der Paletten mit dem leeren DHL-LKW nach Nürnberg zum Dachser-Kunden zu liefern ?
Wird der Traum wahr werden ??
Lieber Herr Trebing!
Da führen Sie ein exzellentes, knappes, präzises Exempel mitten aus der Misere ins Feld. Wie doch der Individualnutzen beständig den Kollektivnutzen beschädigt. Ich teile im Übrigen Ihre wohlgewählte Metapher: Wie lange träumen wir alle schon vom Ende der Irr- und Leerfahrten? Aber vielleicht schaffen wir es ja wirklich mit Hilfe der Digitalisierung. Sie ist zumindest in dieser Sache die größte Chance seit Jahrzehnten. Drücken wir uns alle die Daumen!
Schöne Grüße,
Evi Hartmann