Demnächst schließen komplette Ladenzeilen der Innenstädte, weil wir so enthusiastisch online einkaufen – auch, weil beim Online-Einkauf die Retoure so verführerisch einfach ist: Was nicht gefällt, wird zurückgeschickt. Die Rücksendung ist schon lange keine Verlegenheitslösung mehr, sondern Teil der Attraktivität des Online-Konsums.
Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Hamburger Meinungsforschungsinstituts Nuggets: Zwei Drittel der befragten Online Shopper im Alter unter 30 Jahren hegen bereits bei Aufgabe ihrer Bestellung für Kleidung und Schuhe die feste Absicht, mindestens ein Teil wieder zurück zu schicken. Kostet sie ja (so gut wie) nichts. Gleichzeitig können sich neun von zehn Befragten nicht vorstellen, dass Retouren auch vernichtet werden. Das erklärt so manches.
Es erklärt, warum wir so suchtartig und gedankenlos mit Retouren umgehen. Es erklärt auch, warum wir die Folgen des von uns ausgelösten Retouren-Tsunamis notorisch ignorieren. Dabei sind die Folgen gravierend.
Von der Otto-Group ist zum Beispiel bekannt, dass 95 Prozent der Retouren weder gereinigt noch anderweitig behandelt werden müssen. Sie können vielmehr sofort und direkt nach Rücksendung wieder verkauft werden. Also wo sind die gravierenden Folgen? Nicht bei den 95 Prozent, sondern bei den restlichen 5 Prozent. Bei Millionen Sendungen im Jahr sind 5 Prozent eine ganze Menge Rücksendungen, die gereinigt, behandelt oder entsorgt werden müssen. Das verursacht Kosten und das vermüllt die Halden. Einmal ganz davon abgesehen, dass es die knappen Ressourcen der Erde völlig unnötig vernichtet.
Zalando gibt an, dass nur 0,05 Prozent aller Retouren vernichtet werden müssen. Das klingt vernachlässigbar. Doch wenn man die sehr niedrige Zalando-Entsorgungsquote als Basis für eine Schätzung über die gesamte Branche nimmt und hochrechnet auf die europaweite Sendungsmenge im zweistelligen Milliardenbereich, dann heißen „nur 0,05 Prozent“ eben, dass mehrere Millionen Artikel jährlich entsorgt werden müssen. Mindestens. Vorsichtig geschätzt die Umweltkatastrophe. Wir sind die Wegwerfgesellschaft.
Und es ist ja nicht so, dass wir gute Gründe dafür hätten. Nein, wenn wir etwas zurückschicken, dann sagt die Statistik: 62 Prozent der Retouren fallen an, weil der Artikel nicht gepasst hat. 39 Prozent, weil er nicht gefallen hat. Und 30 Prozent, weil er nicht der Artikelbeschreibung entsprochen hat.
Das sind deshalb keine guten Gründe, weil man sie alle eliminieren oder zumindest drastisch reduzieren könnte, indem man Größenangaben präziser und weniger missverständlich formuliert (manche Händler machen das bereits), indem man die Artikel besser darstellt und die Marketing-Prosa aus den Beschreibungen entfernt (dito).
Manche Händler lassen bereits einen Hinweis auf dem Besteller-Bildschirm aufleuchten, wenn dieser im Begriff ist, vom selben Paar Schuhe drei Größen zu bestellen: „Reichen nicht auch zwei Größen?“ Solche Nudges, kleine Hinweise, reichen oft schon, um die Retouren-Quote spürbar zu senken. Denn das Letzte, was ein aufgeklärter Mensch möchte, ist: Drei Paar Schuhe kommen tausende Kilometer weit aus Asien angeschippert, nur damit eines verkauft wird und zwei Paar schlimmstenfalls durch die Anprobe kaputt oder unbrauchbar wieder tausende Kilometer zurück nach Asien geschippert werden – deklariert als Müll: der Kreislauf des Irrsinns.
Einmal ganz davon abgesehen, dass wir zwar nichts für die Retoure bezahlen müssen, dafür aber das Unternehmen (also im Endeffekt doch wieder wir: via Preis): Eine Retoure kostet bis zu 10 Euro für Transport, Kontrolle, Säuberung, Lagerung, Wiederverpackung oder Entsorgung. Das meiste davon ist teure Hand- und Menschenarbeit, weil das Roboter noch nicht so gut oder günstig können: An jedem zurückgesandten T-Shirt schnüffeln, ob es in die Wäsche muss. An jedem Hemdkragen nachschauen, ob Lippenstift dranklebt.
Der Umwelt zuliebe sollten wir die Retouren-Welle mit allen verfügbaren Mitteln eindämmen. Oder Anreize schaffen, dass das Retournierte wenigstens nicht auf die Halde gekippt, sondern doch noch verwendet wird. Indem zum Beispiel Spenden an Kleiderkammern, Tafeln und andere caritative Einrichtungen umsatzsteuer-reduziert oder befreit werden. Kleines Rechenbeispiel: Ein Online-Händler muss retournierte Schuhe für 100.000 Euro loswerden. Wenn er sie entsorgt, kostet ihn das, sagen wir rund 5.000 Euro. Wenn er sie armen Menschen via Kleiderkammern spendet, kostet ihn das – 19 Prozent Steruersatz auf 100.000 Euro: 19.000 Euro. Also fast viermal so viel. Solange das so ist, ist Spenden deutlich weniger attraktiv als den Müllberg aufzuschütten. Das verstehe, wer will.
Vor allem angesichts der unvorstellbaren Mengen, um die es hier geht. Forscher der Uni Bamberg schätzen die Retouren allein in Deutschland auf 280 Millionen Rücksendungen jährlich. Und das bei Wachstumsraten des Online-Handels von in den letzten Jahren über 10 Prozent. Und die Retouren wachsen ja mit – ich befürchte überproportional. Oder wie neulich ein Logistiker ironisch kommentierte: „Die LKW’s vor mir, wegen denen ich im Stau stehe, transportieren meine Retouren. Also worüber beklage ich mich?“
Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir von der Werbung verführten Konsumbürger verstehen würden, was mit dem Verkehr, der Luft und dem Müll passiert, wenn wir regelmäßig und suchtartig mehr kaufen als wir zu behalten bereit sind. Was wir mit unseren Retouren anrichten. Wenn Hersteller schon beim Anpreisen eines Artikels stärker darauf hinweisen würden, wie schädlich Rücksendungen sind. Wenn pfiffige Start-ups noch mehr digitale Möglichkeiten entwickeln könnten, wie man Artikel visuell und auch mit 3D und um sämtliche Achsen drehbar so darstellt, dass „What you see is what you get“ gilt und wir eben nichts mehr zurückschicken müssen, weil der zugesandte Artikel nicht seiner Darstellung im Online Shop entspricht. Manchmal reicht schon der Hinweis: „Unser Model ist 165 groß, 58 Kilo leicht und trägt unsere Größe S.“ Oder dass man Brillen und Kleider online auf dem Bild des eigenen Gesichts oder Körpers passgenau „anprobieren“ kann. Da ist noch viel Luft nach oben.
Wir sind die Wegwerfgesellschaft, keine Frage. Die Frage ist: Wie lange wollen wir es noch bleiben?