Wenn wir heute etwas bestellen, ist es morgen da, und leere Regalplätze erleben wir beim Discounter auch eher selten. Warum ist das so?
Weil die Supply ManagerInnen der Welt die Störgrößen der Lieferketten noch relativ gut im Griff haben. Noch. Denn die Störungen sind zahlreich, gravierend und nehmen zu. DHL berichtet jährlich darüber: mit dem Resilience360-Report. Wie der Name schon sagt, geht es um die Resilienz, die Widerstandskraft der globalen Liefernetzwerke gegen Störungen. Welche sind das? Was sind die Top3? Worauf tippen Sie? Was stört die reibungslose Belieferung des Konsumenten?
Natürlich: Spitzenreiter der Störgrößen waren im letzten Jahr die stotternden internationalen Handelsströme (Stichwort Handelskrieg USA vs. China). An zweiter Stelle rangiert bereits der Fluch der Digitalisierung: die allseits und allezeit gefährdete Cyber-Sicherheit. Und direkt danach die im Crescendo begriffene Klimakatastrophe mit ihren Wetterkapriolen.
Zum Stottern der internationalen Handelsströme trägt selbstredend auch das politische Brexit-Gewürge bei. Weltweit nehmen die Cyber-Attacken zu, werden Unternehmen digital erpresst, gehackt oder mit Viren verseucht. Und 2018 war das viertwärmste Jahr seit Aufzeichnung der Klimadaten in Europa vor rund 300 Jahren. Mit allen Begleiterscheinungen: Waldbrände, Dürren, Niedrigwasserstände und schmelzende Gletscher.
Zwei Drittel der schwerwiegenden Ereignisse entlang der europäischen Lieferketten waren Ladungsdiebstähle, Industriebrände, Explosionen und Zugunfälle. Die Hitliste führen mit 44,7 Prozent Luftverkehrs- und Landtransportunfälle an. Den zweithöchsten Anteil haben zivile Unruhen mit 12,9 Prozent – in Europa? Zivile Unruhen? Gewiss: Die Gelbwesten zum Beispiel haben Häfen, Zugangsstraßen zu Industriegebieten und Autobahnen blockiert.
Der trockene Sommer letztes Jahr hat mit seinen Rekordniedrigwasserständen vor allem den Schiffsverkehr von Chemieindustrie und Stahlherstellung in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden beeinträchtig. Erdbeben und Überschwemmungen in anderen europäischen Ländern verursachten ebenfalls Lieferstörungen.
Die DHL-Prognostiker geben auch einen Ausblick der Störungen auf das laufende Jahr: keine Entwarnung. Das heißt, dass Supply Chain ManagerInnen, um unsere Versorgung mit allerlei Nötigem und Unnötigem zu sichern, weltweit die Lieferketten umstricken. Die ManagerInnen von Harley Davidson zum Beispiel gaben im Juni letzten Jahres bereits bekannt, dass sie die Motorrad-Produktion für den europäischen Markt von den USA nach Brasilien und Thailand verlegen. Auch BMW hat wegen der unsäglichen Brexit-Hängepartie bereits angekündigt, die Mini-Produktion von der Insel in die Niederlande zu verlagern. Ein britisches Honda-Werk soll bis 2021 geschlossen werden. Wissen die Brexit-Politiker das nicht? Verdrängen sie es? Unterschätzen sie es? Ist es ihnen egal?
Das Wetter wird absehbar auch nicht besser, die Wetterrisiken nehmen zu. Der Sturm fegt Äste auf Schienen und Straßen, Flüsse werden entweder durch Hoch- oder Niedrigwasser transportuntauglich. Einmal ganz von den sogenannten Schwarzen Schwänen abgesehen: Höchst unwahrscheinliche Risiken mit einem hohen Schadenspotential. Solche Schwäne werden wegen der Klimakatastrophe häufiger und damit allfällige Transportunterbrechungen. Bei den meisten Konsumprodukten dürfte das wenig gravierend sein. Aber bei Medikamenten?
Hinzu kommen vorhersehbare Engpässe bei einigen Roh- und Zwischenstoffen wie Lithium (Akkus!), Kobalt und Adiponitril – ADN. Noch nie gehört? Aber schon zigfach in Händen gehalten: ADN ist eine Vorläufer-Chemikalie bei der Plastikherstellung für zum Beispiel die Innenausstattung von Autos und anderen Kunststoffteilen. Weil es auf der ganzen Welt lediglich fünf ADN-Werke gibt (keines davon in Deutschland), sind hier Engpässe praktisch garantiert. Dito Lithium.
Dies verdeutlicht auch die German Mineral Resources Agency durch die Prognose, dass sich die Nachfrage nach Lithium bis 2035 vervierfachen wird. Oder Kobalt: Zwei Drittel der Weltvorräte liegen im Kongo, der alles andere als politisch stabil ist.
Ein komplett anderes Risiko wird aus den USA vermeldet: Dort hat sich die ohnehin nicht geringe Zahl der Verbraucher-Beschwerden von 2017 bis 2018 tatsächlich verdoppelt! Wenn also trotz zahlreicher Fährnisse eine reibungslose Belieferung gewährleistet werden konnte, war das auch für die Katz‘, weil die Ware postwendend wieder zurückkam.
Und das war nur ein kleiner Blick in die Unendlichkeit der potenziellen und virulenten Versorgungsstörungen. Die Liste der Versorgungsrisiken ist praktisch endlos. Dass wir beim Griff ins Regal oder beim Klick mit der Maus meist trotzdem nicht ins Leere greifen/klicken, verdanken wir den Supply Chain- und Risk-ManagerInnen hinter der Bühne der Globalisierung: Mitarbeiter des Monats!