Air Berlin, Germania, Flybmi – alle pleite. Und nicht nur sie. Immer wieder werden Fluglinien insolvent, die es nicht einmal in die Nachrichten zur vollen Stunde schaffen und deren Namen wir noch nie gehört haben. Was ist los über den Wolken, wo die Freiheit angeblich grenzenlos sein soll?
Die einfachste Antwort, natürlich: Geld alle. Die etwas weniger triviale Antwort beginnt bei den Markteintrittsbarrieren, die in der Vergangenheit immer tiefer sanken und deshalb immer mehr Investoren anlockten. Locker formuliert: Wer das Geld aufbringen konnte, bekam die Lizenz zum Fliegen. Zwar sind die Slots zum Starten und Landen an großen Flughäfen begrenzt. Doch es gibt – der EU-Förderung sei Dank – inzwischen genügend kleine Regionalflughäfen, auf denen die kleinen Airlines starten und landen können und zusammen mit den geförderten, aber oft am Rande der Wirtschaftlichkeit agierenden Flughäfen ums Überleben kämpfen. Es sind nicht nur viele kleine Fluglinien, die immer noch und immer weiter vom Exitus bedroht sind. Auch viele kleine Flughäfen schleppen sich nur noch dank der Stütze der jeweiligen Landesregierung von Quartal zu Quartal.
Die Volkswirtschaftler unter uns mögen jetzt vielleicht bedauernd mit den Schultern zucken: Was will man machen? Ist nach Jahren des Gründungsbooms und der Expansion die normale Kontraktion: So ist Konjunktur definiert. Ein stetiges Auf und Ab. Doch nach unten gehen die Zahlen ja deshalb nicht unbedingt. Die Passagierzahlen steigen ständig, viele freiwerdende Verbindungen werden einfach von den Großen übernommen. Und auch die Überkapazitäten bauen sich nicht wirklich ab, scheinbar ganz gleich, wie viele kleine Fluglinien pleite gehen. Noch einmal: Warum?
Auch wegen ihrer Businesspläne. Damit sie für Investoren attraktiv werden, legen viele Kleine äußerst attraktive Pläne vor. Attraktiv auch deshalb, weil die Puffer konsequent zusammengestrichen wurden. Puffer zum Beispiel für steigende Kerosinpreise, für zu spät gelieferte neue Flugzeuge oder Ausfälle aller Art.
Fluglotsen erzählen unter der Hand, dass sie bestimmte Billigflieger seit Jahren auf dem Kieker hätten, weil diese zwar regelmäßig als, sagen wir, fünftes Flugzeug zu der über dem Flughafen kreisenden Flieger-Wolke stoßen, dann aber als erste zur Landung heruntergerufen werden müssen, weil sie buchstäblich auf dem letzten Kännchen Kerosin daherkommen: Sie fliegen, um Kosten zu sparen, quasi schon auf Reserve und drängeln sich vor alle anderen, die genügend Sprit getankt haben, um auch mal drei, vier Schleifen zu drehen.
„Wenn das die Passagiere wüssten“, kommentierte eine Flugbegleiterin. Meine Vermutung: Viele wissen oder ahnen es. Doch ihre Sicherheit ist ihnen anscheinend weniger wert als ein günstiges Ticket. Ihre Sicherheit und die Arbeitnehmer der Fluglinien. Denn die kleinen Fluganbieter stellen meist viele Leiharbeiter und kurzfristig Beschäftigte ein: Die Kosten werden gedrückt auf Teufel komm raus. Und oft kommt er dann auch tatsächlich heraus: am Ende.
Dass wegen der aktuellen Pleitewelle die Flugpreise nach oben gehen, ist auch eher unwahrscheinlich, da die Konkurrenz unter den großen Fluglinien noch mörderisch genug ist. Zwar hat ein vorwitziger Algorithmus im elektronischen Tarifsystem einer großen Fluglinie in den Tagen nach der Air Berlin-Pleite die Preise einiger Verbindungen drastisch erhöht – weil die kleine Konkurrenz weggefallen war und der arme Algorithmus eben auch darauf programmiert worden war. Doch nachdem der Aufschrei der Business-Vielflieger bis in den Deutschlandfunk vorgedrungen war, entschuldigte sich die Fluglinie für das Vorpreschen ihres digitalen Mitarbeiters und revidierte dessen Entscheidung, um auch auf diesem Wege den Anthropomorphismus der Algorithmen zu demonstrieren: Algorithmen agieren immer mehr wie „normale“ Mitarbeiter und werden auch als solche behandelt. Während Ethik-Räte noch darüber grübeln, ob eine Künstliche Intelligenz auf menschliche Werte wie Wahrhaftigkeit und Güte vergattert werden kann oder soll, mutieren Algorithmen dank ihrer Entscheidungsgewalt bereits zu Pseudo-Menschen.
Die große Pleitewelle der kleinen Fluglinien könnte man aus makroökonomischer Sicht als „Marktkorrektur“ abtun, wenn da nicht zwei menschliche Aspekte wären, die bei der typischen VWL-Sicht leidlich zu kurz kommen. Wir als Fluggäste sind im Zweifels- und Insolvenzfall meist die Gelackmeierten, weil wir oft keine angemessene Rückerstattung unserer bereits bezahlten und dann ausgefallenen Flüge bekommen, da andere Gläubiger vorrangig aus der Konkursmasse befriedigt werden.
Gelackmeiert sind wir auch als MitarbeiterInnen der gescheiterten Fluglinien. Zwar werden PilotInnen von der Konkurrenz oft mit Handkuss vom Arbeitsmarkt gefegt. Doch das Service-, Boden- und Verwaltungspersonal steht zu großen Teilen auf der Straße. Zeichen unserer Zeit; gemeinhin als VUCA-Ära bekannt. Es kommen härtere Zeiten, auch angesichts des heraufziehenden Sturms der Digitalisierung. Das muss kein Menetekel sein: Unsere Fähigkeiten wachsen mit den Anforderungen.