Wann immer jemand etwas Gutes tut, erleben wir etwas (für den reflektierten Zeitgenossen) Irritierendes: Das Gute wird schlechtgeredet.
Das Negativ-Phänomen tritt im Alltag gehäuft auf. Ist die Bahn zum Beispiel einmal pünktlich, reden bestimmte Zeitgenossen nicht über ihre Pünktlichkeit, sondern darüber, dass das höchstens eine Ausnahme sei, denn sonst sei sie ja „ständig“ unpünktlich. Dieses Kassandra-Syndrom reicht bis in die Höhen des Zeitgeschehens.
Da schippert zum Beispiel die Klima-Ikone Greta Thunberg CO2-neutral mit dem Segelschiff nach Amerika und prompt rechnen ihr und uns einige Journalisten und Blogger vor, dass es besser fürs Klima gewesen wäre, sie wäre klima-verpestend dorthin geflogen. Denn um das Schiff wieder nach Europa zurück zu segeln, fliegen fünf Crew-Mitglieder zum Zielhafen. In Summe verursachen sie damit mehr als doppelt so viel Treibhausgas, als wenn Greta solo hin und zurück geflogen wäre. Das ist typisch für unsere empörungskulturelle Ja-Aber-Haltung.
Kaum passiert etwas Gutes, wird es – von einigen – nicht anerkannt, wertgeschätzt und gebührend gefeiert, sondern bekrittelt, verhöhnt, kleingeredet, bagatellisiert, trivialisiert und intellektualisiert. Das Gute fällt dabei untern Tisch. Das muss man sich mal vorstellen, da muss man reingetreten sein, wie Kurt Tucholsky es ausdrückte. Es gibt tatsächlich Menschen, die das Gute bekämpfen. Wie irre ist das?
Und sie bekämpfen es noch nicht einmal mit koscheren Mitteln. Dass Greta Thunberg die Flugscham (vielleicht bald das Wort des Jahres 2019, obwohl es das erst seit 2018 gibt) bei Millionen Menschen so angefeuert hat, dass diese hoffentlich bald ihre Flugreisen einschränken und dass Greta und ihre Millionen Anhänger darüber hinaus der seit Jahrzehnten verschlafenen Umweltpolitik von Regierungen Beine gemacht haben – das fällt beim invertierten Rosinenpicken (Rossapfelpicken?) völlig unter den Tisch. Was sind schon fünf fliegende Matrosen gegen Millionen Menschen, die seit Greta ihren Ausstoß an Emissionen reduzieren? Doch so weit denken die Berufsempörer nicht. Sie „slandern“ oder „dissen“ das Gute. Sie machen das Gute schlecht. Warum?
Weil es ihnen nützt. Üble Nachrede nützt dem übel Nachredenden (glaubt er zumindest). Paul Watzlawick („Anleitung zum Unglücklichsein“) nannte dieses seltsame wie verräterische Spiel: One-up-one-down. Indem man jemanden, den man über sich stehend vermeint, verbal herunterzieht, erhebt man sich selbst über ihn (nur in der neurotischen Phantasie – jeder Nicht-Neurotiker durchschaut die durchsichtige Kompensationsreaktion). Anders ausgedrückt: Neid ist ein narzisstisches Signatur-Symptom desjenigen, der das Gebot „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ in tiefenpsychologisch so grundständiger wie individualpsychologisch so unreflektierter Hybris nicht auf den biblischen Gott, sondern auf den Gott des Zeitgeistes bezieht: auf das eigene megalomane Ego. Das ist an sich nichts Unstatthaftes. Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Neurose.
Man muss auch kein Fan von Greta sein. Aber wie kann jemand kein Fan der Sache sein, die sie so erfolgreich vertritt? Wie kann jemand im Besitz eines Frontallappens kein Fan des Klimas sein? Doch wie gesagt: Es herrscht das Recht auf freie Meinungsäußerung. Jeder darf Greta kritisieren, jeder darf sich lustig machen über die galoppierende Klimakatastrophe, jeder darf mit vollem Einsatz den Klima-Ast absägen, auf dem er sitzt. Es gibt auch ein Recht auf Dummheit. Wer es mit Verve sein möchte, soll es bitte sein dürfen. Das ist nicht der Punkt.
Der Punkt ist, dass wir uns über die Dauerempörten nicht empören. Oder wie Edmund Burke (britischer Staatsmann und Philosoph, 1729-1797) sagte: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“ Es nützt nichts, wenn wir stumm den Kopf schütteln, wenn der Leitartikler unseres Lokalblattes mal wieder berufsempörerisch danebenlangt und Gutes schlechtschreibt: Schreiben wir einen Leserbrief!
Wenn ein Kollege 99 Prozent richtig gemacht hat und der Krittler vom Dienst mal wieder auf dem einen danebengegangenen Prozent herumreitet als sei es ein Lipizzaner: Treten wir für das Gute ein, weisen den Schlechtredner zurecht und preisen das Gelungen, das Gute, das Richtige in gebührender und angemessener Weise. Das Schlechte hat Millionen Fürsprecher – wer spricht für das Gute?
Anstatt das Gute, das uns täglich gelingt und begegnet, gewohnheitsmäßig schlechtzumachen, zu relativieren, zu trivialisieren und herunterzureden, sollten wir beim kleinsten guten Ansatz laut und vernehmlich sagen: Gut gemacht! Super! Danke! Bitte weiter so! In diesem Sinne: Sprich für das Gute! Wer sollte es sonst tun? Jede Stimme zählt.
Dieser Blogeintrag ist einfach nur – GUT!!!
Danke…
Stimmt.
Sehr gut sogar :-)
Liebe Alcessa!
Da waren es, mich eingerechnet, schon drei, die ihre Stimme (hier) erheben. Danke auch! Stellen wir uns vor, dass es – ob auf dieser Seite oder jeder anderen – bald dreitausend, dreißigtausend und mehr werden. Die Welt wäre zu retten. Und Sie waren von Anfang an dabei.
In diesem Sinne und mit herzlichen Grüße,
Evi Hartmann
Lieber Stefan!
Herzlichen Dank nicht nur für Ihr Kompliment, sondern noch viel mehr und vor allem dafür, dass Sie tatsächlich das tun, was ich mit einiger Hoffnung anzuregen vesuche: Die eigene Stimme für das Gute zu erheben.
Schönen Dank auch und: bitte weiter so!
Evi Hartmann