Nicht von Pappe

Reden wir über den Volkssport #1. Nein, nicht Fußball, sondern Online Shopping. Nehmen wir noch den klassischen Versandhandel mit Katalogen hinzu: Wir klicken. Wir bestellen. Es wird geliefert. Worin?

Natürlich. Jahr für Jahr „produziert“ der durchschnittliche Deutsche laut Umweltbundesamt mehr als 220 Kilo Verpackungsmüll, circa die Hälfte davon Wellpappe, Papier und Karton. Die meisten Päckchen und Pakete, die der Paketbote bringt, kommen in der gewellten Pappe geschachtelt. Und jedes vierte Kilo Verpackung aus Papier, Pappe und Karton ist an einen Privathaushalt adressiert. In den letzten zehn Jahren ist die Menge um 30 Prozent gestiegen, hauptsächlich durch den explosiv sich entwickelnden Online- und Versandhandel.

Anders als der Plastikmüll, dessen Verteufelung gerade in Mode gekommen ist, müllt der Papier- und Kartonabfall noch weitgehend unterhalb der medialen und privaten Wahrnehmungs- und Empörungsschwelle still und leise vor sich hin. Die Altpapier-Tonnen (sofern vorhanden) quellen schon lange vor den Häusern über, aber dazu gibt es noch keine mediale Empörungsprosa oder skandinavische Poster-Teenager (nichts gegen Greta). Plastik ist geächtet, Pappabfall dagegen gilt als Kavaliersdelikt.

Dabei killt auch Pappe massenhaft Ressourcen. Doch wie das urbane Kind nicht mehr weiß, dass die Milch von der Kuh stammt, weiß mancher moderne Online-Besteller nicht mehr, dass Papier woraus nochmal besteht? Da war doch was. Bäume. Richtig. Wir toben los, wenn die Brasilianer die Lunge der Erde brandroden, aber hat schon mal jemand nachgerechnet, wieviel Bäume er oder sie allein mit seinen Päckchen jährlich auf dem Gewissen hat?

Auch Pappe, Papier und Karton verschleißen Ressourcen, benötigen massenhaft Energie für die Herstellung, bei der gleich doppelt Treibhausgase anfallen. Zum einen bei der eigentlichen Herstellung, zum anderen via Opportunitätskosten: Ein gefällter Baum bindet kein CO2 mehr. Wir bräuchten unseren Wald eigentlich zum Atmen, nicht zum Wegschmeißen im Papiermüll.

Apropos Wegschmeißen: Das Duale System Deutschland, der Grüne Punkt, trägt nur 15 bis 20 Prozent der Entsorgungskosten für Müll aus Papier und Pappe. Den Rest bezahlt die Allgemeinheit, also wir, per Umlage. Wie der alte Graf Lambsdorff einmal meinte: „Umlagesysteme legen uns alle irgendwann um.“ Auch deshalb forderte der Vizepräsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) Patrick Hasenkamp, dass der Online- und Versandhandel viel stärker an den Kosten der Verpackungsmüllentsorgung beteiligt werden müsse. Denn bislang bleiben privater Müll aus Papier und Karton mehrheitlich an unseren Kommunen und ihren Müllmännern hängen.

Auch deshalb gibt es seit Anfang des Jahres ein neues Verpackungsgesetz. Wer dagegen verstößt, muss bis zu 200.000 Euro berappen und kann sogar mit einem Betriebsverbot belegt werden. Auf der anderen Seite stehen wir, die Besteller und Konsumenten.

Laut einer PwC-Studie (2018) sagt ein Drittel von uns, dass wir auf ein Produkt verzichten würden, wenn es zu viel oder nicht nachhaltig verpackt ist. Wow, lediglich ein Drittel? Warum nicht alle? Und was heißt schon „nicht nachhaltig verpackt“? Würden wir das erkennen? Hat schon jemals jemand wegen zu viel Verpackung ein Produkt im Regel liegen lassen? Etwa Kaffee-Kapseln? Laut derselben Studie wäre auch ein Viertel der Verbraucher bereit, mehr Geld für Produkte mit nachhaltiger Verpackung auszugeben. Nur ein Viertel?

Da scheint ein anderer Weg erfolgversprechender. Wer zum Fleischer geht, kann seine Wurst nämlich jetzt schon (bei bestimmten Fleischern) in die eigene, mitgebrachte Tupper-Box geben lassen. An der Obsttheke im Supermarkt greifen Zeitgenossen, die nicht bloß „bereit“, sondern bereits tätig sind, zum Mehrweg-Netz anstatt zur Hemdchen-Tüte aus Plastik. Und der Handel geht noch weiter.

Tchibo und der Otto-Versand werden im kommenden Frühjahr das Pilotprojekt „Prax-Pack“ starten; ein Mehrweg-Verpackungssystem für Online- und Katalog-Versand, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Die dabei verwendete Mehrweg-Verpackung sieht eigentlich aus wie eine übliche braune Postversandtasche – nur eben nicht aus dickem Papier, sondern aus recyceltem Polypropylen. Das Material ist strapazierfähig und wandert nach dem Gebrauch eben nicht ins Altpapier, sondern portofrei und auf Briefgröße zusammengefaltet an einen zentralen Dienstleister zurück, der die Verpackungshüllen prüft, sammelt und sie an die Online Shops und Versender zurückgibt.

Die Verpackungstaschen müssten mindestens 20 Mal im Kreis laufen, um nachhaltiger zu sein als Karton. Da Tchibo und Otto nicht die ersten Unternehmen sind, die das System einsetzen, weiß man, dass Taschen dieses Typs bereits bis zu 50 Mal in den Kreislauf gingen.

Für den Mehrweg bezahlen die Kunden 3 Euro mehr; den Betrag gibt es als Pfand zurück, sobald die Versandtasche wieder beim Rücknahmezentrum eintrifft. Dort werden die Taschen in einer Behindertenwerkstätte gereinigt. Die Deutsche Post übrigens setzt die Mehrweg-Versandtaschen schon seit einiger Zeit testweise ein.

Wenn wir uns vor Augen halten, wie viele Millionen Sendungen jährlich allein hierzulande versendet werden: Mehrwegverpackungen sparen Ressourcen und Energie, verringern die Abfallberge und entlasten die kommunale Müllabfuhr. Sie vermeiden außerdem bis zu 80 Prozent der CO2-Emissionen von Einwegverpackungen. Während Politik und Medien noch lärmend über „Klimaschutz“ debattieren – ein so hoch abstrakter Begriff, dass er sich für jede an effektiven Maßnahmen orientierte Diskussion verbietet – treiben diesen Schutz Industrie, Hersteller, Handel und letztendlich wünschenswert viele von uns bereits mit ganz konkreten Maßnahmen wie zum Beispiel die Mehrwegverpackung beim Versand voran. Es tut sich was. Wir tun was. Hoffentlich. Denn unterm Strich sind wir es, die über das Klima entscheiden.

Mit unserer Wahlentscheidung: Wo bestellen wir? Wenn es das beispielhafte T-Shirt bei zwei Versendern gibt – bei welchem bestellen wir? Beim billigeren oder beim besseren? Und wissen wir, dass „besser“ bedeutet: besser für unsere Umwelt, unser Klima und unsere Kinder? Die zitierte PwC-Studie sagt auch: Sieben von zehn Befragten würden für eine Mehrweg-Verpackung ihrer Sendung ein Pfand von im Schnitt 2,50 Euro entrichten. Die Bereitschaft dafür sei vorhanden. Bereitschaft ist gut. Doch es sind auch am heutigen Tag Millionen Menschen zum Abnehmen bereit und nur wenige von ihnen ziehen es tatsächlich durch. Bereitschaft ist nett, aber auch mehr nicht. Handeln entscheidet. Handeln wir.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert