Nach Corona: Wie geht es weiter? Wir wissen oder ahnen es: im selben alten Trott. Damit wäre die Chance vertan.
Denn wenn eine Krise zu etwas gut ist, dann doch wohl, um als Chance genutzt zu werden. In diesem Zusammenhang wird oft und medial von einem „Neustart nach Corona“ geredet. Wie wäre es mit einem Neustart mit weniger CO2-Ausstoß? Ja, genau, die Industrie soll sauberer produzieren!
Eben das meine ich: Immer nur die anderen. Warum lediglich die Industrie? Warum nicht auch wir? Wozu zum Beispiel braucht jemand einen 200 PS starken SUV? Eins ist sicher: nicht fürs Klima und nicht zum Klopapier-Einkauf.
Dafür tut’s auch der Polo. Und wozu die Leute ständig zu Präsenz-Meetings zusammentrommeln oder auf Dienstreisen schicken? Wenn die Zoom-Meetings ohne nennenswerten Informationsverlust auskamen – warum sie nicht nach Corona größtenteils beibehalten? Um morgens die Häupter seiner Lieben zählen zu können? Damit man auch sieht, wozu man Vorgesetzter wurde? Das wäre peinlich. Nach Corona sieht jeder diese Peinlichkeit.
Die Krise hat uns in vielen Bereichen eine verschärfte Form der Effizienz demonstriert. Ich kann kein Manko an dieser digitalisierten Form der Effizienz erkennen. Außerdem hat sie uns eine verschärfte Definition von Wohlstand und Wohlergehen geschenkt: Vieles ist unnötig und mehrt weder das eine noch das andere.
In vielen Bereichen jedoch hat der Lernprozess noch gar nicht eingesetzt. Wenn zum Beispiel ein Apfel vom Bodensee teurer als ein Apfel aus Neuseeland samt seiner Logistik ist, dann ist etwas faul im Staate und im Markt. Entweder der heimische Apfel wird preisgünstiger (und auch Bürokratie ist ein Kostenfaktor) oder der Marktpreis-Mechanismus wird zugunsten des Klimas korrigiert. „Ordnungspolitik“ ist kein Kurort an der Ostsee.
Ordnungspolitik kann und sollte auch das korrigieren, was der freie Markt von sich aus nicht schafft, zum Beispiel von seiner Überschuss- und Wegwerf-Mentalität weg zu kommen. „Wirtschaften“ wird nämlich seit geraumer Zeit gleichgesetzt mit „Kaufen, bis der Arzt kommt“ anstatt mit „verantwortlichem Ressourceneinsatz für das, was zum Leben nötig ist“. Wenn aber Luxus plötzlich unanständig wird, brauchen wir dann die Hälfte der Arbeitsplätze nicht mehr?
Das würde doch bedeuten, dass wir ruckzuck beim bedingungslosen Grundeinkommen (für manche) wären? Warum „wären“? Wir sind, nein, wir waren es doch bereits schon! Was waren denn die bedingungslosen Zuschüsse des Staates in der Krise, um Firmen über Wasser zu halten? Und was ist das Kurzarbeitergeld in Teilen anderes als, im weitesten Sinne und mit den Dire Straits gesprochen, „Money for nothing“? Das geht aber nur in der Krise und nicht danach? Stimmt nicht. Danach geht das auch und ist lediglich eine Frage der Finanzierung. Oder will jemand ernsthaft behaupten, wir könnten das Klima nicht retten, weil wir es uns finanziell nicht leisten könnten?
Die Krise war und ist auch eine Lektion in Grundlagenwissen, zum Beispiel Tauschwert vs. Nutzwert. Eine Maske für 14 Euro zum Beispiel beschreibt den Tauschwert (so viel haben wir teilweise dafür berappt), während eine Maske (beim Discounter) für 70 Cent den Nutzwert zeigt: So viel ist uns das Ding wert. In der Krise erzielten einige knappe Güter Schwarzmarkt-Tauschwerte, während ihr Nutzwert konstant blieb. Umgekehrt verhält es sich mit systemrelevanten Arbeitsleistungen in Erziehung und Pflege: Ihr Nutzwert schoss ins Stratosphärische, während ihr Tauschwert (der gezahlte Hungerlohn) beschämend gering blieb. Dazu sei übrigens gesagt: Einem Sanitäter, der Menschenleben rettet in einer Großstadt, in der er sich die Miete für sich und seine Familie von seinem lächerlichen Gehalt nicht mehr leisten kann, aus offenen Fenstern heraus für seinen Einsatz während der Krise mit Applaus und Hochrufen zu danken, ist mindestens gedankenlos bis grenz-zynisch – und viele meinten auch, dass sie sich dadurch veräppelt fühlten. Sowas tut man nicht. Bezahlt die Leute endlich anständig, dann könnt ihr euch das Klatschen sparen.
Viele befürchten nach der Krise auch die Deglobalisierung, damit zum Beispiel die schon vor der Krise grassierenden Medikamenten-Lieferengpässe endlich aufhören, die für viele Betroffene sehr viel gefährlicher sind als jedes Virus. Natürlich wird die Deglobalisierung nicht kommen.Das lässt allein die Kostenlage nicht zu. Aber das ist eine ziemlich ärmliche, visionslose Perspektive auf die Zukunft, nicht wahr?
Wie wäre es mit einer Vision, einer Strategie, einem Masterplan aus der Krise heraus, Hand hoch? Somebody? Anybody? Oder: Wir machen einfach weiter wie bisher, nix gelernt, vernunftbegabt? Von wegen.
Wozu brauchen wir zum Beispiel Hunderte von Handy-Modellen und theoretisch unendlich viele Konfigurationen von Auto-Modellen? Niemand will ein Einheitshandy oder zurück zum „Volkswagen“ (wobei – was war daran schlecht?). Doch wann gehört Ressourcenschonung endlich zum guten Ton beim Auto-, respektive Handy-Kauf? Und natürlich: eine Reparatur-Kultur statt der pandemiehaften Wegwerf-Mentalität.
Seltsam zurückhaltend verhalten sich auch die KollegInnen der VWL. Wie katastrophal der vielgerühmte Markt während der Krise bei Masken, Handschuhen, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln versagt hat, wäre doch zumindest der beiläufigen Erwähnung wert. Plus einer Diskussion: Wollen wir die künftige Krisenvorsorge wirklich einem Markt überlassen, der keinerlei Interesse an einer langfristigen Krisenvorsorge haben kann, weil er viel zu sehr damit beschäftigt ist, seine kurzfristigen Gewinne zu maximieren?
Das alles wären und sind Fragen, über die nachzudenken es sich lohnen würde. Manchmal könnte man den Eindruck bekommen, dass nicht das Virus das Problem ist, sondern das Denken.