Wie stehen die Aktien?

Wir sind Export- und Reiseweltmeister. Wir sind auch Sparweltmeister. Die Sparquote der privaten deutschen Haushalte liegt bei rund zehn Prozent; das sind umgerechnet 249 Milliarden Euro jährlich, was im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Beneiden uns andere Nationen um unsere Sparsamkeit?

Sie beneiden und sie belächeln uns. Sie beneiden uns, weil wir so gern und so viel sparen und sie belächeln uns, weil wir so renditeschwach sparen.

Wir sparen mit dem Sparbuch, mit dem Bausparvertrag, mit Kapitallebensversicherungen oder lassen das Geld auf Giro- oder Tagesgeldkonto liegen. Überall dort, wo es inzwischen keinen oder so gut wie keinen Zinsertrag mehr einträgt. Andere Nationen lassen ihr Geld stärker für sich arbeiten, zum Beispiel in Aktien.

54 Prozent der US-Amerikaner halten Aktien. Wie hoch schätzen Sie den Anteil deutscher Sparer, die gleichzeitig Aktionäre sind? Es sind 16 Prozent – das sind Welten Unterschied. So risiko-scheu ist der deutsche Michel also. Er verliert viel Geld dabei. Denn beim aktuellen Nullzins bekommt er nicht nur keinen Zinsertrag mehr. Die herrschende Inflation greift auch das Ersparte selbst an. Es wird immer weniger Wert, Jahr für Jahr.  Zwei Prozent Inflation dezimieren gesparte 1.000 Euro in zehn Jahren auf rund 800 Euro. Für die Altersvorsorge ist das dramatisch.

Die Ersparnisse werden immer weniger, weshalb die Medien auch alle Jahre wieder titeln: „Zentralbank enteignet Sparer!“ Oder: „Erste Banken erheben Negativzinsen!“ Und was machen die deutschen Sparer? Sie lassen ihr Geld weiter auf Konten und Sparbüchern, wo es vom Geldfraß ereilt wird. Woher kommt das?

Sicher auch von der Dotcom-Blase, die um die Jahrhundertwende Milliarden Euro Erspartes vernichtete. Dann auch von der Finanzkrise 2008/09 oder von so unerquicklichen Geschichten wie dem Fall der Telekom-Aktie oder dem Wirecard-Skandal. Eine Studie zeigt: Solche Marktbeben sind die Ursache, dass eine komplette Generation für den Aktienmarkt verloren ging und gar keine Aktien hält. Auf welche Generation tippen Sie?

Es sind jene, die heute um die 50 sind. Sie haben vor 20 Jahren die Dotcom-Blase erlebt, damals viel Geld verloren und scheuen nun Aktien wie der Teufel das Weihwasser. Die Jüngeren und die Älteren dagegen legen noch in Aktien an. Man kann nur hoffen, dass der Wirecard-Skandal nicht auch noch eine neue Anleger-Generation kostet. Das eigentliche Problem ist: Auch andere Länder haben ihre Wirtschafts- und Aktienskandale.

Dort reagieren die Sparer jedoch deutlich weniger verschreckt. Sie schreiben die Verluste ab und investieren beim nächsten Kauf klüger, investieren weiterhin in Aktien, während viele Deutsche nach so einem Aktiendebakel die Finger von Aktien lassen. Wir reagieren wie das gebrannte Kind, welches danach das Feuer scheut und vergisst: Feuer kann auch wohlig wärmen an einem kalten Wintertag im Alter. Vor allem dann, wenn man – falls man kein Day Trader ist – seine Aktien länger hält.

So hat der DAX, historisch betrachtet, in jedwedem 15-Jahreszeitraum noch nie einen Verlust gemacht. Das allerdings ist ein ziemlich einfaches Gewinnversprechen: Ein Anleger muss lediglich 15 Jahre Geduld aufbringen, um nahezu garantiert eine schöne Rendite mit seiner Aktie einzufahren.

Wobei der Singular natürlich falsch ist: Eine einzige Aktie kann immer mal enttäuschen, jedoch ein diverses Portfolio nicht. Über 15 Jahre überkompensieren die Gewinner die Verlierer, wenn man klug anlegt (dazu gleich mehr). Portfolio schlägt Solitäraktie. Und natürlich kommt es weniger auf schöne Rechenmodelle wie den Cost-Average-Effect an als viel stärker auf den Zeitpunkt des Aktienkaufs.

Als zu Beginn der Corona-Krise die Indizes und Aktien in den Keller gingen, verkauften viele ihre Aktien (deshalb gingen sie in den Keller). Einige wenige klatschten in die Hände und kauften mit allem, was sie seit der Weltfinanzkrise für exakt so einen Zeitpunkt beiseitegelegt hatten, üppig Aktien zu Billigpreisen ein. Warum machten das nicht alle?

Weil die Finanzbildung hierzulande katastrophal ist. Laut Umfrage wissen zum Beispiel 72 Prozent der deutschen Nicht-Aktienbesitzer nicht, was ein ETF ist, ein Exchange Traded Fund, ein börsengehandelter Fonds, der jeweils einen bestimmten Börsenindex abbildet. Geht also zum Beispiel der DAX rauf, geht auch ein DAX-ETF rauf, weil er sich exakt so zusammensetzt wie der DAX selbst. Und selbst in der Corona-Krise gingen die Aktienindizes, abzüglich einzelner Baisse-Tage, trendig nach oben. Wohin sollen auch die ganzen Milliarden und Billionen gehen, welche die Regierungen zur Bewältigung der Corona-Krise schöpfen? Sicher nicht komplett in die Beschaffung von Maschinen und den Bau von Fabriken, wenn kein Unternehmer weiß, ob seine Branche jemals wieder auf die Beine kommt. Aber wie gesagt: Was Geld angeht, so ist die Bildung der Nation so gut wie nicht vorhanden.

Deshalb halten wir Deutschen unsere deutschen Großunternehmen auch noch für solide oder überhaupt für deutsch. Doch wer sich die DAX30-Unternehmen anschaut, dem wird schnell auffallen: Diese 30 Unternehmen gehören nur noch zu 30 Prozent uns Deutschen und zu 70 Prozent ausländischen Anteilseignern.

Wenn man dann auch noch Großaktionäre rausrechnet wie Piëch und Porsche bei VW, Quandt bei BMW, Herz bei Beiersdorf oder Henkel und Merck bei den gleichnamigen Familienunternehmen, dann ist der Anteil an deutschen Aktien-Sparern noch viel geringer.

Worüber wir hier reden, sind daher keine Aktien. Wir reden hier über Finanzbildung. Wer heute kein Smartphone hat, wird ausgelacht. Aber wenn drei Viertel der Deutschen noch nie etwas von einem ETF gehört haben, geschweige ihn verstehen, dann lacht keiner, obwohl das weitaus lustiger ist. Es verstehen bloß so wenige diesen Treppenwitz der Weltgeschichte. Wir sind eine Nation von Geldlegasthenikern und Finanzanalphabeten. Über Kindesmissbrauch wird heute weitaus unbefangener geredet als noch vor 20 Jahren – über Geld wird immer noch nicht geredet. Geld ist das größere Tabu. Das ist einigermaßen verrückt.

Und wenn wir das schon an den Schulen nicht lernen können, dann sollten doch zumindest Familie und Freundeskreis diese klaffende Bildungslücke schließen. Aktien können fürchterlich abstürzen – aber sie können auch satten Wohlstand schenken und eine Rendite erreichen, die alle anderen Anlagen schlägt. So hat einer der bekanntesten Aktien-Indizes, der MSCI World, über einen längerfristigen Zeitraum regelmäßig 9 Prozent Zins p.a. eingefahren. Mit Zockerei hat das nichts zu tun. Eher mit verantwortlicher Geldanlage – doch genau das ist der springende Punkt: Wir übernehmen ungern die Verantwortung für unsere eigenen Geldangelegenheiten. Soll das die Hausbank für uns machen.

Wenn die Medien auch dieses Jahr berichten, dass die Reichsten der Welt wie in fast jedem Jahr rund zehn Prozent reicher geworden sind, dann schimpfen wir wieder neidisch auf die Reichen. Anstatt uns zu fragen: Wie wurden die wohl so reich? Und können wir unser Geld nicht auch so anlegen wie die?

Wir können das und wir sollten das auch. Wollen wir?