Vor Wochen wurde sogar die Post eingespannt, um den US-Wahlkampf zu entscheiden. Angeblich sollte ihr Budget gekürzt werden, so dass Hunderttausende Briefwahl-Sendungen nicht rechtzeitig ankommen könnten. So wichtig ist die Post: Wenn sie’s nicht bringt, ist sogar die Demokratie bedroht.
Das geht natürlich nur, weil der US Postal Service noch das ist, was die Deutsche Bundespost bis 1995 war: ein Staatsunternehmen. Zum 1.1.1995 wurde sie aufgeteilt in die Deutsche Post und die Deutsche Telekom und privatisiert. Das ist jetzt ein Vierteljahrhundert her: Hat es sich gelohnt? Wer ist besser dran – die USA oder wir? In welche Hände gehört also die Post eines Landes?
Manche meinen: Natürlich in private Hände! Der Staat sei ein schlechter Unternehmer und der Markt der bessere, effizientere, neutralere und nachhaltigere Koordinationsmechanismus von Nachfrage und Angebot – sofern es sich nicht um öffentliche Güter handelt wie Freiheit, öffentliche Sicherheit, Landesverteidigung, Umwelt, Bildung, Gesundheit … Stichwort: Marktversagen.
Wobei wir eines schon sehen und sagen können: Für die Post selbst hat sich die Privatisierung rentiert. Sie war vor 1995 hoch defizitär – wie es der US Postal Service noch ist. Die Deutsche Post musste bis 1995 von der Fernmeldetechniksparte quersubventioniert werden: Das Telefon rentierte sich, das Brief- und Paketgeschäft machte Miese. Heute ist unsere Post ein hoch profitabler, weltweit agierender Großkonzern, der jährlich Milliardengewinne einfährt. Allein in Deutschland liefert die Post die meisten Sendungen aller Postdienste aus, 59 Millionen Briefe (2016) und 4,3 Millionen Paketsendungen (2019) – täglich. Das war 1995 nicht so sicher.
Um das Jahr 1995 wurde die Privatisierung der Post stark kritisiert. Die Gewerkschaften zum Beispiel befürchteten einen massiven Job-Abbau – weil private Unternehmen bekanntermaßen effizienter arbeiten: Weniger Mitarbeiter liefern mehr Ergebnis. Die Witze über die „Arbeitsteilung“ bei kommunalen Betrieben sind Legion: Wie viele Mitarbeiter des städtischen Bauhofs braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben?
Fünf. Einer schraubt und vier stehen um die Baustelle herum und diskutieren das Vorgehen oder warten auf die Mittagspause.
Ja, das ist zynisch und ja, es gibt öffentliche Betriebe, die Effizienz-Champions sind, auch wenn man leider selten davon liest. Doch es zeigt, warum viele ab dem Stichtag der Privatisierung massive Kündigungen bei der Post erwarteten. Das Gegenteil passierte. Die Post schrumpfte nicht effizienz-orientiert, sie wuchs wachstumsorientiert und hat inzwischen rund 550.000 Mitarbeiter in über 220 Ländern und Territorien. Das ist einigermaßen krass, wenn man bedenkt, dass in der UNO lediglich 193 Staaten organisiert sind. Man könnte also sagen: Unsere Post ist größer als die UNO.
Die Post machte 2002 einen Wachstumssprung, als sie das Kurier-Unternehmen DHL übernahm. Damit stieg sie in die Tabellenspitze des internationalen Paketversandes auf. Die Post ist dabei nicht nur expansiv, sondern auch innovativ: Sie war zum Beispiel das erste Unternehmen, das eine Riesenflotte von E-LKW buchstäblich aus der Start-up-Garage auf die Straße brachte, während die Konkurrenz immer noch mit Diesel-Mief beliefert.
Dabei hat es die Post nicht leicht. Sie ist ein potenzielles Opfer der Digitalisierung: 2006 schrieben wir täglich noch 70 Millionen Briefe, heute sind es nur noch 59 Millionen und der Trend hält an. Jahr für Jahr geht die Briefmenge in Deutschland um zwei bis drei Prozent zurück. Dafür nimmt das Paketgeschäft dank unseres Online-Bestellkollers rasend zu. 2008 versandten wir noch täglich 2 Millionen Pakete und Päckchen, heute sind es 4,3 Millionen; Tendenz steigend. Die Experten schätzen, dass im Lauf des Jahres 2016 jeder Online-Shopper im Schnitt 20 Bestellungen aufgegeben hat, also grob jede zweite Woche eine Bestellung.
Die Post versucht mit einem Heer von 50.000 Zustellern der Flut Herr zu werden und macht das recht ordentlich: 90 Prozent der Paketsendungen erreichen ihr Ziel bereits am nächsten Tag – was wir Empfänger noch nicht ganz mitgekriegt haben.
Denn wenn eine ungeduldig erwartete Sendung mal wieder länger dauert als erhofft, schimpfen wir auf wen? Auf den armen Postler, der rein gar nichts dafür kann. Dass der Schuh- oder Klamotten-Online-Shop unserer Wahl für Auftragsbearbeitung, Kommissionierung, Verpackung und Versand unseres Auftrags manchmal länger braucht als die Post zum Ausliefern, übersehen wir geflissentlich, weil wir von den Lieferketten, welche die Nabelschnur des modernen Online-Junkies sind, kaum Ahnung haben – weder von den einzelnen Kettengliedern der Lieferkette noch von deren sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Uns täte mal wieder ein Zeitalter der Aufklärung gut.
In den USA macht die Post Defizite, bei uns Milliarden-Gewinne, was die Ungleichheit nur weiter erhöht: Während der US-Post schlicht dafür das Geld fehlt, möchte unsere Post in den kommenden Jahren 9,5 Milliarden Euro investieren in Roboter, Digitalisierung und Sortiertechnik. Die Post agiert dabei nicht nur investiv, sondern auch kreativ, indem sie zum Beispiel mit 1&1 kooperiert, dem Mobilfunk- und Internet-Anbieter. Alle 1&1-Kunden sollen demnächst kostenlos ihre Papier-Briefe per E-Mail einsehen können. Das beschleunigt den Briefverkehr nahezu auf Internet-Geschwindigkeit. Der Nutzer kann seine Briefe auf dem Handy lesen, noch bevor sie bei ihm im Briefschlitz landen. Das könnte natürlich dazu führen, dass langfristig noch weniger Briefe versendet werden – doch der Trend zur Digitalisierung lässt sich wohl kaum stoppen. Also macht man besser mit.
Vor allem auch deshalb, weil große Internet-Shops wie Amazon in einigen Ländern auch schon begonnen haben, ihre eigene riesige Lieferflotte aufzubauen. Das wäre doch auch eine Perspektive für die US-Regierung: Einfach die Post am Stück an Amazon outsourcen.
Dieses Schicksal teilt die US-Post mit vielen Staatsbetrieben in vielen Ländern: Sie müsste seit Jahren dringend reformiert, ach was, saniert werden. Mit mehr als 630.000 Mitarbeitern schreibt sie seit Jahren tiefrote Zahlen, allein im Frühjahrsquartal 2020 einen Verlust von 2,2 Milliarden US-Dollar. Experten machen dafür auch die aufgeblähte Infrastruktur verantwortlich mit über 31.000 Filialen und 140.000 Briefkästen. Sogar Hollywood macht sich lustig über die eigene Post. Wer erinnert sich nicht an die Post-Filiale in „Men in Black“, in der die Missstände des Postwesens damit erklärt wurden, dass im Sortierraum lauter Aliens Dienst tun?
Und doch gibt es in allen Ländern öffentliche Betriebe, die hoch effizient und profitabel sind. Im Endeffekt kommt es wohl weniger darauf an, ob ein Unternehmen öffentlich oder privat ist. Es kommt aufs Management an. Ein engagiertes Management kann binnen kürzester Zeit einen Mega-Konzern zu einer defizitären Klitsche herunterwirtschaften mit mieser Produktqualität und unzufriedenen Kunden wie umgekehrt aus jedem Garagen-Start-up eine weltweite Kette gemanagt werden kann mit Milliarden-Gewinnen, Topqualität und hoch zufriedenen Kunden.