Vielleicht haben Sie es gehört oder gelesen: Wir haben hier in Deutschland den ersten IBM-Quantencomputer bekommen. Er steht im Baden-Württembergischen Ehningen. Dort hat das Fraunhofer-Institut ihn zusammen mit IBM gebaut. Ein Quantensprung im Sinne des Wortes, der nächste große Schritt in der Entwicklung der Computertechnik, vergleichbar mit der massenhaften Verbreitung des PC damals. Wobei der Quantencomputer etwas völlig anderes ist als jeder normale Computer.
Der klassische Computer arbeitet sukzessive: Erst das eine, dann das andere. Das andere kann nicht drankommen, solange das eine noch bearbeitet wird. Genau das kann der Quantencomputer jedoch: viele Operationen gleichzeitig bearbeiten. Das macht ihn so unvergleichlich viel schneller als jeden normalen Computer. Wo ein klassischer Computer zum Beispiel eine Woche an einer Aufgabe rechnet, schafft der Quantencomputer es in einer Sekunde. Das ist kein metaphorischer Vergleich: Es gibt konkrete Rechentests, die genau zu diesem numerischen Ergebnis kommen. So, wie wir heute ganz selbstverständlich am PC oder vor dem Notebook sitzen, könnten wir also in einigen Jahren vor einem Quantencomputer sitzen. Wobei das eine Entwicklung ist, die fast so rasant wäre wie das Rechentempo des neuen Computers.
Denn bislang ist so ein Quantencomputer noch so groß wie ein Haus. Vor allem auch, weil er, um so schnell rechnen zu können, möglichst nah an den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt werden muss. Bei dieser frostigen Temperatur werden einige Materialien supraleitend und supraleitend bedeutet superschnelles Rechnen. Dass wir diese minus 273 Grad irgendwann zuhause, im ganz normalen Büro oder mit dem Notebook erreichen werden, ist doch eher unwahrscheinlich. Das müssen wir auch nicht.
Denn jene Probleme, für deren Lösung ein normaler Hochleistungscomputer wochenlang rechnen müsste, entstehen eher selten im Home Office. Es sind vor allem Aufgaben im Bereich der wissenschaftlichen und kommerziellen Optimierung, bei denen extrem große Datensätze mit vielen verschiedenen Variablen analysiert werden müssen. Genau hier kann der Quantencomputer Aufgaben in der Kürze der Zeit lösen, in der es aktuelle Hochleistungscomputer nicht können. Aus diesem Grund setzen viele Unternehmen große Hoffnungen auf den neuen Computer-Typ und kaufen bereits Rechenzeit, um ihre eigenen Optimierungen laufen zu lassen. Die Hoffnungen der Geschäfts- und insbesondere der Konzernwelt auf den neuen Computer haben einen Höhepunkt erreicht. Kaum etwas anderes wird gerade so hoch gehypt.
Der neue Computer in Ehningen heißt ein wenig prosaisch „Q System One“ (Q für Quantum) und ist Europas erster und bislang einziger. Doch in den USA laufen schon jetzt einige Dutzend davon. Es ist bereits ein richtiges Quantum-Business. Denn Google und andere Anbieter offerieren die neue Quantum-Rechenleistung als Cloud-Lösung. Bislang noch in kleinem Rahmen, doch die Entwicklung ist rasant. Denn der neue Computer-Typ kann, was alte Computer nicht können.
Zum Beispiel die hoch komplexen Millionen Folgen der Klima-Katastrophe bis hinein in unser alltägliches Leben prognostizieren. Komplett neue Medikamente entwickeln und deren aufwändige und zeitraubende Testung teilweise ersetzen: Anstatt dass erst 40.000 Probanden monatelang gepikst und beobachtet werden müssen, um zum Beispiel einen neuen Impfstoff zu entwickeln, rechnet der Q-Computer mögliche Nebenwirkungen in wenigen Minuten aus.
Ein Job-Motor ist er auch: Sowohl die Algorithmen als auch die Software-Architektur müssen komplett anders codiert werden als herkömmliche Rechenvorschriften. Da ist noch viel Forschung nötig, bevor die passenden Codes für alle Problemstellungen überhaupt geschrieben werden können. Die Idee selbst ist keineswegs neu. Man spricht bereits seit 1980 vom Quantencomputer – damals noch in der reinen Theorie. Erst 2019 konnte zum Beispiel Google verkünden, dass das neue Modell Rechenaufgaben auch in der Praxis deutlich schneller lösen kann als herkömmliche Computer.
Auch für die in den letzten Jahren außer Rand und Band geratene Logistik kann der neue Computer viel Nützliches tun. Was zum Beispiel die im Sinne von Nachhaltigkeit und gleichzeitig Schnelligkeit und Wirtschaftlichkeit optimale Touren- und Transportmittelplanung ist, ist ein Optimierungsproblem, das wegen der extremen Komplexität solcher internationalen Netzwerke immer noch nicht zufriedenstellend, geschweige denn optimal gelöst ist. Dasselbe gilt für einen Klassiker der Intralogistik: Wie müssen Zwischenlager verteilt und Versorgungswege und -takte für eine optimale Versorgung eingerichtet werden?
Für die Finanzwelt verspricht die Quantentechnologie ebenfalls große Fortschritte, indem sie Performance und Risiko eines Portfolios sehr viel schneller und besser wird einschätzen können als aktuelle Methoden. Schließlich wird die Zukunftsforschung Szenario-Modelle nicht nur qualitativ beschreiben, sondern quantitativ durchrechnen können. Das hat auch die deutsche Politik erkannt: Sie fördert die Quantentechnologie im Rahmen des Post-Corona-Wiederaufbau-Pakets mit satten 2 Milliarden Euro.
Gemessen wird die Kapazität eines Quantencomputers nicht in Bits, sondern in Qubits; das aktuelle Modell kommt auf 27 Qubits. Doch schon bis 2023 möchte IBM einen Q-Computer mit stabiler und wirtschaftlicher Nutzbarkeit in der Größe von 1.000 Qubits auf den Markt bringen – eine erstaunliche Steigerung in so kurzer Zeit, die eine erstaunliche Klarsichtigkeit ermöglichen könnte: Wird die Zukunft jeglicher Prägung vorhersehbar, im Sinne des Wortes berechenbar? Wir befinden uns am Beginn einer atemberaubenden neuen Ära und werden unseren Enkeln erzählen können: Wir waren von Anfang an dabei!