Es wird voll am Nachthimmel

Elon Musk möchte 42.000 Satelliten ins All schießen. Wozu will er das?

Er möchte damit erreichen, dass so gut wie jeder Mensch auf der Erde mobiles Internet hat. Bislang haben das „nur“ 43 Prozent der Weltbevölkerung, ein unhaltbarer Zustand digitaler Armut. Wer in der Sahara shoppen geht oder in den Anden Steinmännchen stapelt, kann das derzeit nämlich noch nicht in Echtzeit auf Instagram posten. Die ganzen Travel Influencer sind sauer. Daher Elon Musks Idee für etwas, das wir alle ganz dringend brauchen.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir jedoch konzedieren, dass es selbst in Deutschland noch viel zu viele kleine und mittlere Unternehmen gibt, zu denen der externe IT-Support die Updates ihrer Software auf USB-Sticks tragen muss, weil kein Internet verfügbar ist, das schnell genug wäre. Daher: Schießt sie hoch, die Satelliten! Wohin? In den Stau am Himmel.

Denn schon heute umkreisen rund 5.000 wissenschaftliche, kommerzielle und militärische Satelliten die Erde. Und in den nächsten sechs Jahren sollen allein aus den USA 4.400 weitere hinzukommen. Diese werden nicht einfach so ins Himmelsblau geschossen, sondern in den LEO, den Low Earth Orbit in 500 km Höhe. Nun stellen sich viele in kindlicher Naivität den Himmel als etwas gänzlich Grenzenloses vor, das er absolut nicht ist. Eher im Gegenteil.

Denn wir dürfen uns die Umlaufbahnen der Satelliten nicht als komplett parallel verlaufend denken, sondern eher wie die Carrera-Rennbahn im Kinderzimmer: mit dieser fiesen Kreuzung mittendrin, wo sich die beiden Bahnen kreuzen und es diese lustigen Karambolagen gibt, wenn der vorausfahrende Rennwagen nicht genügend Abstand zu seinem Verfolger herausfahren konnte. Dann knallt’s nämlich und die Rennwagen fliegen purzelnd aus der Bahn.

Genau das passierte 2009 dem amerikanischen Kommunikationssatelliten Iridium 33 und dem russischen Aufklärungssatelliten Kosmos 2251. Beide stießen lautlos im Weltall zusammen und zerbarsten in mehr als 100.000 Bruchstücke, wobei wir beim Thema Space Waste, Weltraum-Müll, angelangt wären. Inzwischen zischen nicht nur Tausende Satelliten um die Erde, sondern auch jede Menge Satelliten- und Raketenmüll. In Zahlen: 6.500 Tonnen Schrott (73% davon im Low Earth Orbit). Irgendwann kommt das alles runter. Wenn das keiner aufsammelt.

Wir können ja nicht einfach die Müllabfuhr raufschicken, um das Kessler-Syndrom zu verhindern, das nach dem gleichnamigen US-Astronomen so benannt und im Blockbuster „Gravity“ mit Sandra Bullock und George Clooney verfilmt wurde. Das Syndrom besagt, dass eine Havarie zweier Objekte im All einen Domino-Effekt auslösen kann. Die daraus hervorgehende Cloud of Doom, die Trümmerwolke des Verderbens, steht nämlich nicht wie ein terrestrischer Müllhaufen stationär im All und wartet auf die Müllabfuhr, sondern rast mit irrer Geschwindigkeit um die Erde und durchsiebt alles, was sie auf ihrer Flugbahn antrifft. Allein ihr höllisches Tempo macht die Trümmerstücke zu tödlichen Hochgeschwindigkeitsprojektilen.

Um für ein besseres Verständnis dieser Geschwindigkeit einen Vergleich zu bemühen: Wie schnell bewegt sich die ISS um die Erde? Was schätzen Sie?

Die wenigsten erraten es. Die Internationale Raumstation saust mit 28.000 km/h um die Welt. Unvorstellbar. Und wenn schon der ADAC warnt, dass niemand ohne Sicherheitsgurt und Airbag in seinem Auto einen Aufprall von 30 km/h unverletzt übersteht, können wir uns vorstellen, welche mörderische kinetische Energie diese Wolke aus Überschallgeschossen entwickelt.

Erst im Mai stellte der turnusgemäße Kundendienst an der ISS fest, dass so ein Trümmerteil den Roboter-Arm der Raumstation glatt durchschlagen hatte. Stellen wir uns lieber nicht vor, was passiert wäre, hätte er nicht den Arm, sondern einen Sauerstoff- oder einen Treibstofftank getroffen. Oder einen Astronauten, der draußen an der ISS herumschraubt. Wer so viel Müll im All hat, braucht keinen Krieg der Sterne. Im Orbit ist praktisch die Jagd auf.

Dabei ist die normale Lebensdauer eines Satelliten kein Geheimnis: bis zu 25 Jahre. Dass er also irgendwann unfehlbar auf den Müll wandert, ist schon bei seinem Start klar. Also haben die raumfahrenden Nationen irgendwann einmal als Soll eine Entsorgungsquote von 90 Prozent vereinbart. Was schätzen Sie, ist der Ist-Zustand?

Ihre Schätzung sagt weniger über Ihre Kenntnisse der Raumfahrt als mehr über Ihre Menschenkenntnis aus. Aktuell liegt die Entsorgungsquote bei 5 bis 15 Prozent. Was soll man auch von einer Spezies erwarten, die es unter hohem Einsatz geschafft hat, ihren Heimatplaneten so gründlich zu vermüllen, dass Amazon bereits an Earth II und Disney an einer realen Version ihres Trickfilm-Helden WALL-E arbeitet: Der Letzte räumt die Erde auf.

Was soll eine Spezies auch sonst machen, die ihre eigene Heimat derart zugemüllt hat? Im All weitermachen! Und nicht nur erdnah! Die anderen intelligenten Lebewesen im Universum fürchten schon den Tag, an dem die Menschheit die interstellare Raumfahrt entdeckt und ihren Müll auf andere Planeten exportiert. Oder andere Planeten gleich zu interstellaren Müll-Deponien erklärt. Alles vermüllen? Yes, we can! Geh zur ESA! Entdecke fremde Galaxien, Zivilisationen und Planeten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat! Und müll‘ sie zu!

Damit keine Missverständnisse entstehen: Niemand würde auf die Idee kommen, keine Satelliten mehr ins All zu schießen. Denn ohne Satelliten hätten wir immer noch buchstäblich keine Ahnung, wie schlimm es wirklich um unser Klima steht und wie viele Hektar Regenwald täglich abgefackelt werden. Wir hätten kein Navi und müssten wieder mit dem Finger auf der Straßenkarte in der Republik herumirren. Wir hätten kein Satelliten-TV. Ergo: Wir brauchen unsere Satelliten. Wir sollten uns bloß endlich angewöhnen, den Dreck, den wir machen, auch wieder selber aufzuräumen.