Stau im Hafen

Oder wie der Fachmann sagt: Port Congestion. Noch nie gehört? Häfen, die unter Verstopfung leiden, sind unter anderem die Überseehäfen von Los Angeles, Savannah (Georgia), Manila und Shanghai. In europäischen Häfen sind die Staus nicht so lang wie auf der A81 am Aichelberg, aber auch in unseren Häfen gibt es inzwischen deutliche Verzögerungen beim Be- und Entladen von Schiffen.

Die passende Kennziffer zum Stau ist das Verhältnis von Schiffen, die aufgrund fehlender Kapazitäten vor den Häfen warten, zu den Schiffen, die gerade abgefertigt werden. Für die Stau-Häfen gilt teilweise: 70 Prozent ihrer Schiffe liegen nicht im Hafen, sondern stecken vor dem Hafen in der Warteschlange. In Europa ist es noch umgekehrt: „Nur“ ~30 Prozent der Schiffe müssen draußen warten.

Die Folge: Was sich vor dem Hafen staut, kommt nicht rechtzeitig in unsere Supermarkt-Regale oder in die Fertigung. Jeder, der einkauft, kennt inzwischen leere Regalplätze oder vergriffene Produkte. Jeder, der baut, erlebt Materialknappheit, monströse Lieferzeiten und Preissteigerungen, weil schneller gebaut wird als die Schiffe das nötige Material anlanden können. Die Globalisierung wächst stärker als die internationale Hafen-Kapazität. Und wir alle wissen, was der Preismechanismus daraus macht.

Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, steigen die Preise. Im Vergleich zu 2019 haben sich die Frachtraten inzwischen teilweise versechsfacht bis verachtfacht. Dass sich dies noch nicht inflationär auf die Konsumpreise niedergeschlagen hat, ist entweder ein kleines Wunder oder einfach der übliche Time Lag. Dabei schadet der Hafen-Stau doppelt.

Zum einen ist Stau = Lieferverzögerung. Zum anderen können Container, die im Stau stehen, nicht ent- und danach wieder neu beladen werden, was die aktuelle Container-Knappheit erklärt, die dann nochmals die Preise in die Höhe treibt und noch mehr Zeitverzögerung verursacht.

Zu den ganzen negativen Effekten gibt es Zahlen: Auch die Logistik ist heutzutage durchgängig quantifiziert. So verspätet sich die Frachtverbindung zwischen Schanghai und Hamburg zum Beispiel im Vergleich zum Zeitraum von vor zwei Jahren aktuell um mehr als eine Woche wegen der Staus, der Containerknappheit und wegen Imponderabilien wie der Sperrung des Suezkanals. Die Verspätung vom chinesischen Tianjin, dem Hafen von Peking, nach New York lag im Juni 2020 bei 0,96, also knapp einem Tag. Ein Jahr später waren es bereits 7,3 Tage. Sämtliche Seerouten zwischen China und Europa sind im Schnitt zwei Tage verspätet. Und es ist keine Entspannung in Sicht.

Denn der Erholungseffekt nach Corona hat erst begonnen: Wir kaufen und produzieren immer noch mehr. Und bereits jetzt bildet die Logistik den Engpass. Die Perspektive: Dieses Jahr zu Weihnachten gibt es Gutscheine. Oder Sie fangen schon jetzt mit den Einkauf Ihrer Geschenke an. Wer es wie immer auf die letzten Tage ankommen lässt, wird vor mehr leeren Regalen stehen als sonst üblich. Wieder einmal erkennen wir den Begriff „globale Liefernetzwerke“ als Euphemismus. Das sind keine Netzwerke, das sind Domino-Gebilde. Fällt ein Stein in Tianjin um, setzt sich der Domino-Effekt bis nach Hamburg fort. Von Juli bis September diesen Jahres hat sich allein in oder besser: vor drei der größten US-Häfen die Anzahl der aufgestauten Schiffe verdreifacht – und damit ihre Klimatoxizität.

Denn natürlich dieseln diese Riesen auch dann munter vor sich hin, um Strom zu produzieren, während sie träge und voll beladen in der Dünung dümpeln. So viel können wir freitags gar nicht protestieren, wie vor den Häfen Ruß in die Luft und ins Wasser geblasen wird. Wir könnten natürlich auch einen teilweisen Konsumverzicht üben. Dann fahren automatisch weniger Schiffe. Aber wer will das schon?

Wir wollen das nicht nur nicht. Wir wollen das Gegenteil. Die Zahlen zeigen es. Allein im Hafen von Los Angeles wurde das Gütervolumen in den letzten 13 Monaten 12 Mal übertroffen, verzeichnete also in nur einem Jahr 12 neue Höchststände. Was wir wirklich wollen, sagen diese Zahlen deutlicher als jede Freitags-Demo: Mehr Konsum! Buchstäblich um jeden Preis, auch um den Preis des Klimas. Wir könnten natürlich auch die Häfen ausbauen.

Ein weltfremder Vorschlag, siehe Hamburg: Seit 2002 war beispielsweise die neunte Elbvertiefung geplant. Wann wurde damit begonnen? 2019. Nachdem wirklich alle, die etwas einzuwenden hatten, etwas eingewendet hatten.

Gleichzeitig toben die Kunden von Handel und Industrieunternehmen am Telefon, wenn sich eine Lieferung verspätet. Die Logistiker, die in der Zwickmühle sitzen und die Häfen nicht schnell genug ausbauen können, setzen verstärkt auf Digitalisierung. Vielleicht kann sie letzte Effizienzreserven in den Arbeitsprozessen heben. Aber worüber beklagen wir uns eigentlich?

Unsere Großmütter sind noch mit dem Bollerwagen und drei kleinen Kindern kilometerweit zu Fuß gegangen, um auf den Äckern liegengebliebene Kartoffeln zu hamstern. Knappheit war das große Problem. Heute ist das „Problem“ der überbordende Wohlstand, der Häfen verstopft, Preise treibt und Lieferverzögerungen für Güter verursacht, die wir nicht wirklich zum Leben brauchen, die dafür aber das Klima killen und Ressourcen verschleudern. Ist das der Fortschritt, den wir wollten?

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