Vor kurzem stieß ich im Stern auf einen Artikel über Logistik. Wenn schon ein Unterhaltungsmagazin wie der Stern bemerkt, dass es so etwas Nützliches wie Logistik gibt, werden wir natürlich neugierig. Was erregte des Sterns Aufmerksamkeit?
Etwa die verspätet entdeckte Tatsache, dass die Logistik der Motor der Globalisierung ist? Oder dass die Logistik buchstäblich die Hand ist, die uns alle versorgt? Oder dass ein ungenanntes Heer an Supply Chain Managern derzeit hektisch und unbemerkt von den lauten Medien versucht, von Corona ge- oder zerstörte Lieferketten wieder aufzubauen? Das alles wäre der Aufmerksamkeit wert. Worauf fiel der Blick des Stern tatsächlich?
Auf ein Schiff.
Die Yara Birkeland.
Sie ist das weltweit erste autonome und elektrisch betriebene Containerschiff. Und nicht nur als Konzept oder in Planung, sondern bereits in Betrieb. Sogar die Tagesschau berichtete darüber.
„Autonom“ bedeutet: kein Kapitän auf der Brücke, keine Matrosen an Deck. Früher hätte man so etwas auch „Geisterschiff“ genannt. Und was für ein Schiff! Die Yara Birkeland ist kein Kutter. Sie ist satte 80 Meter lang und kann 120 Container tragen. Vor wenigen Wochen machte sie ihre Jungfernfahrt. Sie findet ohne menschliches Zutun aus dem Hafen, navigiert selbstständig den Kurs und findet auch ganz allein in den Zielhafen. Das macht die Yara Birkeland einzigartig. Was noch?
Dass sie eine Trendbrecherin ist. Seit Jahren lautet der Trend bei Containerschiffen: Immer größer! Immer länger! Immer mehr Bruttoregistertonnen! Als das erste Containerschiff Mitte der 50er-Jahre losdampfte, konnte es 210 Container tragen. Im Juli 2021 lief mit der Ever Ace das bislang größte Containerschiff vom Stapel. Wie viele Container schafft es? Was schätzen Sie?
Eine unfaire Frage. Denn wer würde schon 24.000 Container schätzen? Die Yara Birkeland macht mit dieser Megalomanie Schluss. Und sie beendet noch etwas.
Als 2020 Corona ausbrach, gingen viele Besatzungen von Frachtschiffen in Quarantäne: Sie durften nicht mehr an Land, sahen die Heimat Monate über die normale Heuer hinaus nicht mehr. Im Falle der Philippinen war das die halbe Nation, denn die Philippinos sind praktisch das Rückgrat der seefahrenden Globalisierung. Ohne sie läuft nichts mehr auf den Meeren. Und das Leben an Bord ist knochenhart. Die Arbeitswoche hat sieben Tage und 46 Stunden. Neun Monate lang wird durchgearbeitet, die Ladung gesichert und kontrolliert und das Schiff repariert, geschweißt, geölt, geputzt und vor allem permanent entrostet.
Denn so ein Ozeanriese ist erst in zweiter Linie ein mobiles Auslieferungslager. In erster Linie ist es eine schwimmende Instandhaltungsmonstrosität. Es gibt permanent etwas zu reparieren und ist man damit am Heck angelangt, geht es am Bug wieder von vorne los, endlos. Und das nächste Festland ist Tausende von Kilometern weit weg – wie auch die Heimat. Das ist ein extrem belastender Job. Auch wenn man das Meer liebt.
So gesehen ist die Yara Birkeland eine immense Entlastung für die Matrosen, die zur See fahren: Sie können sich angenehmere Jobs in den Supply Chains suchen, zum Beispiel in den Häfen oder den nächstgelegenen Auslieferungslagern.
Die Yara Birkeland entlastet nicht nur Personal und Personalkostenkonto, sondern mit ihrem E-Antrieb auch die Umwelt. Das ist ein immenser Verdienst, wenn man weiß, dass Containerschiffe traditionell schwimmende Dreckschleudern sind: Sie verpesten Luft und Wasser. Die Yara Birkeland fährt dagegen emissionsfrei. Sie ist eine echte Premiere.
Denn bislang scheiterten alle Versuche, Containerschiffe zu elektrifizieren. 2008 zum Beispiel versuchte man, einen Frachter mit Solarpaneln auszustatten. Resultat: Die Panel deckten gerade mal 0,2 Prozent des Energiebedarfs des Schiffes. Die Yara Birkeland schafft 100 Prozent. E-PKW, E-LKW und E-Flugzeuge gibt es bereits. E-Frachtschiffe nennenswerter Größe gab es bislang noch nicht. Hin und wieder lief die eine oder andere Fähre mit E-Antrieb vom Stapel – aber bislang noch nie ein Containerschiff.
Die Yara Birkeland transportiert hauptsächlich Düngemittel von der Fabrik in Porsgrunn im südöstlichen Norwegen zum 10 km entfernten Hafen von Brevik. Das ist eine spannende Route durch einen engen Fjord in einen der am stärksten frequentierten norwegischen Häfen. Im Hafen selbst herrscht extrem hohes Verkehrsaufkommen. Dieses bringt den elektronischen Navigator des Schiffes jedoch deutlich weniger zum Schwitzen als einen menschlichen Steuermann. Trotzdem fahren in der zweijährigen Testzeit noch Menschen auf dem Schiff mit – auf der Brücke (https://www.schiffundhafen.de/nachrichten/schiffbau/detail/vard-liefert-yara-birkeland-ab.html). Wer diese genauer anschaut, stellt fest: Sie sieht a) anders aus als andere Brücken, weil sie b) nach der Testphase einfach zusammengefaltet und abgebaut werden kann. Denn nur Menschen brauchen eine Brücke.
Die wirklich große Batterie der Yara Birkeland liefert 7 Megawattstunden. So viel wie mehr als 100 Tesla Model S. Damit schafft das Schiff umgerechnet 13 km/h Transportgeschwindigkeit, kann jedoch auch Sprints einlegen, die deutlich schneller sind. Und wenn schon ein Roboterschiff die Logistik übernimmt, dann in Bausch und Bogen: Die Yara Birkeland fährt nicht nur autonom, sondern belädt, entlädt und tankt auch selbstständig und ohne menschliches Zutun. Das Schiff macht alles selber. Menschliches Zutun findet nur noch in der Kommandozentrale an Land statt, wo die schwimmenden Riesenroboter überwacht werden. In Zeiten des Fachkräftemangels setzt so eine autonome Flotte viele Fachkräfte frei für Jobs, in denen sie stärker gebraucht werden.
In Zeiten der Klimakatastrophe ist der größte Vorteil und Verdienst des neuen Schiffes: Sein E-Antrieb vermeidet jedes Jahr den Ausstoß von tausend Tonnen CO2; das entspricht 40.000 Fahrten mit dem Diesel-LKW.
Bislang gibt es Millionen E-Autos und Zehntausende E-LKW. Es gibt sogar kleine E-Flugzeuge. E-Containerschiffe gab es bislang nicht. Die Yara Birkeland ist eine echte Premiere – und die Zukunft einer sauberen und nachhaltigen Schifffahrt.