Die Angst der Manager

Was? Das kann nicht sein! Manager haben keine Angst. Manager sind ganze Kerle, Wirtschaftskapitäne, unerschrocken, furchtlos; dasselbe gilt für Managerinnen. Angst? Unmöglich. Und jetzt zu den Fakten.

Der Global Risk Report des World Economic Forum befragt jährlich eine vierstellige Zahl Managerinnen und Manager. Was schätzen Sie? Wieviel Prozent der Befragten denken aktuell positiv und optimistisch über die Zukunft der Welt und der Wirtschaft?

Nach dem traditionellen Selbstverständnis im Management müssten das knapp 120 Prozent sein. Oder zumindest 80 Prozent. Wieviel sind es tatsächlich?

Es sind 16 Prozent. Man könnte einwenden: abzüglich Corona! Aber wie hoch müsste dann der Corona-Diskont sein? 90 Prozent? Das kann nicht sein. Also schlussfolgern wir messerscharf: Auch Manager sind Menschen. Auch Manager haben Angst, zum Beispiel vor der Zukunft, vor Risiken und Bedrohungen, vor Blamage, Versagen, Statusverlust, Misserfolg und Scheitern. Überraschung. Die größere Überraschung: Manager reden neuerdings darüber (und sei es „nur“ beim WEF).

Gewiss: Die schiere Flut der aktuellen und künftigen Bedrohungen ist wirklich einschüchternd. Aber wenn sich schon unsere Wirtschaftslenker davon einschüchtern lassen, was sollen wir normalen Menschen dann tun? Panikraum aufsuchen? Das ist die eine Frage. Die andere ist: Wenn Manager Angst haben – wie wirkt sich das auf die Unternehmen aus, die sie managen?

Die klassische Angst-Trichotomie, die wir aus dem Bio-Unterricht kennen, ist anwendbar: Fight – Flight – Freeze. Man sollte nun meinen, ich korrigiere mich: hoffen, dass Manager zu hundert Prozent zu Fight tendieren. Wenn wir schon Menschen an die Spitze unserer Unternehmen wählen, dann sollten diese so krisenfest sein, dass sie, when the shit hits the fan, sich nicht verkriechen oder flüchten, sondern mutig und entschlossen den Kampf aufnehmen. Der Haken ist: Wir wählen sie ja nicht. Sie kommen irgendwie anders an die Spitze (ein Thema für sich). Dort oben angekommen zeigen sie leider keine Abweichung von der in der normalen Bevölkerung anzutreffenden Panik-Trichotomie: Viele Führungskräfte erstarren im Angesicht der Angst. Sie reden die Krise klein, sie betreiben Overreporting und Cover your ass, spielen Machtspielchen, sie warten ab und sitzen aus oder betreiben Greenwashing statt wirklich was zu tun. Und wir wundern uns, warum es immer so lange dauert, bis wir aus Krisen raus sind, beziehungsweise dass einige Bedrohungen zur unendlichen Geschichte chronifizieren. Anpacken ist anders. Und das angesichts einer Situation, die WEF-Präsident Børge Brende so definiert: „Der Planet brennt.“

Man könnte nun volkstümlich behaupten, dass viele Manager schlicht die Hosen voll haben und Mut nicht gerade zu den Einstellungsvoraussetzungen im Management gehören. Doch das wäre a) populistisch und würde uns b) keine weiterführende Erkenntnis verschaffen. Wie immer bringt uns Differenzierung weiter.

Es gibt nämlich einen bemerkenswerten Unterschied im Umgang mit den verschiedenen Bedrohungen. Diesen hat der Global Risk Report ebenfalls erhellend herausgearbeitet. Er fragte Manager, wie weit ihr Risk Management bei einzelnen Themen bereits fortgeschritten ist. Ziemlich gut vorbereitet ist das Management danach bei Bedrohungen der finanziellen Stabilität, durch internationale Kriminalität und aus Handelsstreitigkeiten zwischen Ländern. Da funktioniert das Risikomanagement. Nicht jedoch bei zwei der aktuell gravierendsten Bedrohungen.

Nämlich bei Klimakrise und Künstlicher Intelligenz. Da sagen 80 Prozent der Befragten, dass sie noch gar nicht mit dem Risikomanagement begonnen hätten oder noch nicht über ein frühes Stadium hinaus seien. Und das, obwohl beide Themen bereits seit Jahren brennen. Ich weiß, die Versuchung liegt nahe, das Management zu anthropomorphisieren, so zu tun, als sei es ein Mensch und habe einfach nur zu viel Schiss. Das liegt nahe und bringt nichts.

Weitaus fruchtbarer ist exakt das Gegenteil: Eben nicht auf den berühmten „Bauch des Managers“ zu verweisen, der angeblich nicht imstande ist, angemessen auf Ängste zu reagieren, sondern auf das Fehlen eines systematischen Umgangs mit Risiken. Das führt sehr viel weiter. Das sieht man schnell, wenn man die Best Practice aufsucht; in drei Stufen.

Erstens: Vielen Unternehmen fehlt bereits die nüchterne Risiko-Einschätzung. Die Klassenbesten verfolgen gerade hier eine schonungslose Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, lassen Kritik zu, nein, fordern sie geradezu ein, unterbinden jedoch gleichzeitig defätistische Schwarzmalerei. Am Ende kommt dabei eine unverfälschte Einschätzung der eigenen Risiko-Lage heraus – auch und gerade, wenn die Lage besch…eiden ist.

Die Erstarrten sind es also nicht, weil sie furchtsam und mutlos wären. Sie haben schlicht keine schonungslos klare Risiko-Analyse etabliert; aus kulturellen Gründen: weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Auf der zweiten Stufe mangelt es an der Herstellung der Handlungsfähigkeit. Die Erstarrten schieben es auf die lange Bank oder erschöpfen sich in der operativen Hektik des Tagesgeschäfts, während die Klassenbesten Aktionspläne schmieden und in die Schublade legen: Wenn Risiko A virulent wird, machen wir X, wenn B eintritt, starten wir … Aktionspläne sind schon rein dem Wort nach das Gegenteil von Erstarrung. Vor allem dann, wenn Führungskräfte präsent bleiben.

Auch das war in der Corona-Krise massenhaft zu beobachten: Viele Chefs waren plötzlich absent, (im Home Office) verschwunden, unerreichbar, auf Tauchstation – und nur ein Bruchteil davon konnte mit vernünftigen Maßnahmen zum Schutz vor Ansteckung erklärt werden (niemand steckt sich am Telefon an). Der weitaus überwiegende Teil war schlicht: Angesichts der Krise hatten sie nichts zu sagen, was über operative Anweisungen zum Tagesgeschäft hinausgereicht hätte. Sie führten nicht. Sie saßen aus. Das ist nicht nur eine Charakterfrage.

Das ist vor allem eine Frage der Routine. Die Best in Class hatten solche etabliert: Je weniger man sich persönlich traf, desto mehr regelmäßige feste Termine wurden vereinbart, um sich zusammenzuschalten. Man blieb in intensivem Kontakt. Eine dieser Kommunikationsroutinen betraf die sogenannte Sunset Legislation. Jede (Corona-)Maßnahme, die getroffen wurde, wurde mit einem Sunset belegt: „Gilt bis zum X.X.2021. Danach sehen wir weiter.“ Eine Kommunikations-Routine, die zum Beispiel das RKI entweder nie kannte oder nie ausreichend kommunizierte. Jedes Mal, wenn das Amt eine neue Restriktion verkündete, bekam der verschreckte Bürger den fälschlichen Eindruck: „Das gilt für ewig!“

Drittens: Experimentiere! In VUCA-Zeiten gibt es kein Richtig oder Falsch mehr. Nicht a priori, nicht ex ante. Es gibt keinen richtigen Weg. Man kann ihn nur herausfinden. Indem man experimentiert. Doch genau das widerspricht der typisch deutschen Nullfehler-Kultur: „Entweder richtig oder gar nicht!“ Viele erstarren in Krisen, in jeder Krise, auch in der nächsten, die schon morgen losbrechen wird. Sie erstarren, weil sie darauf warten, dass Moses die 10 Gebote endlich vom Berg runterbringt. Und warten. Und warten. Während andere sich voran-irren und so Irrtum für Irrtum den richtigen Weg finden. Das nennt man Fehlerkultur: Fail faster, fail better!

„Aber wir haben keinerlei Erfahrung mit sowas!“, ist in Krisen oft zu hören. Dann sammelt sie! Mit Experimenten, die notfalls auch mal ein Schlauchboot versenken, bevor man durch erstarrtes Abwarten die ganze Yacht verliert.

Vor allem nimmt Experimentieren die Angst vor Krisen: „Wir tun was! Wir kommen voran! Und wenn wir bei den ersten zehn Versuchen lediglich erkennen, was nicht funktioniert!“ In fragilen Organisationen und Köpfen dagegen tobt die Fehlerpathologie: „Das lief schief! Wer hat das verbockt? Kopf ab!“ Mit Schuldzuweisungen hat noch nie jemand eine Bedrohung gemeistert.

Das sind nur drei Schritte eines Systems, das strukturiert Krisenfestigkeit verleiht, Resilienz oder auch Antifragilität, wie Nicholas Taleb das nennt. Es minimiert Risiken und befreit von Angst. Es macht nicht auf tiefenpsychologische, sondern auf methodische Weise Mut. Und Mut ist vorrangig das, was wir alle brauchen, um die kommenden Katastrophen locker aus der Hüfte federnd zu meistern.