Gesundheit aus dem Drucker

Rund 9.000 Menschen stehen in Deutschland aktuell auf der Warteliste für ein Spender-Organ; die meisten warten auf eine Niere. Demgegenüber stehen rund 900 Spender (2020). Das heißt, wir bräuchten zehnmal mehr Organe als Spender da sind. Wir alle erleben täglich, wie quälend es sein kann, auf etwas warten zu müssen. Wer auf ein lebenswichtiges Organ wartet, für den ist das kein Warten, sondern die Hölle. Niemand müsste mehr durch diese Hölle gehen, wenn a) mehr Menschen einen Spender-Ausweis hätten oder b) der 3D-Drucker komplette Organe drucken könnte. Eine Utopie?

Nicht wirklich. Stand der Technik ist die Herstellung von künstlichem menschlichem Gewebe im Labor, das dann implantiert wird und sich im Körper zu Organteilen entwickelt. Kleinere Organteile kann der Drucker bereits drucken, zum Beispiel ein Trommelfell oder auch Zahnprothesen. Warum nicht komplette größere Organe?

Aus zwei Gründen. Zum einen schaffen es aktuelle Drucker noch nicht, eine ausreichend große Anzahl von benötigten Zellen zu drucken. Zum anderen besteht ein menschliches Organ nicht nur aus einer Sorte Zellen, sondern aus mehreren unterschiedlichen Zelltypen, die mit ganz unterschiedlichen Kanalstrukturen eine 3D-Organisation bilden. Diese Zellstrukturen funktionstüchtig nachzubilden ist für die gegenwärtige Druckergeneration noch zu komplex. Doch wir wissen vom Drucker im Büro – der Vergleich ist zutreffend, da es bei beiden Arten von Druckern um den technischen Fortschritt geht: Am Anfang hatten lediglich große Firmen einen sperrigen zentralen Drucker – heute hat (fast) jede/r Studierende einen auf der Stube. Und nicht nur die Menschen auf den Wartelisten erwarten sehnsüchtig den Tag, an dem alle oder die meisten Organe komplett ausgedruckt und implantiert werden können.

Auch die Zukunftsforscher kommen beim bloßen Gedanken an das künftige Potenzial des 3D-Drucks von Organen ins Träumen: Der Kunstmensch ist keine Utopie mehr. Menschliche „Ersatzteile“ könnten nicht nur für den Ersatz unrettbar erkrankter Organe verwendet werden. Auch Lifestyle-Jünger würden den Drucker sofort annektieren und bei Amazon schon dann ein neues Organ bestellen, wenn das alte lediglich nicht mehr auf dem Niveau eines 17-jährigen Zehnkämpfers täglich Spitzenleistung bringen würde. Das wäre frohe Kunde für alle Kampftrinker mit alkoholgeschädigter Leber, Büroarbeiter mit kaputtgesessenen Nieren und jugendliche Extremdaddler mit Smartphone-Daumengrundgelenksarthrose und Bandscheibendegeneration der Halswirbelsäule. Mit dem neuen Smartphone könnten sie dann gleich den HWS-Bandscheiben-Satz nachbestellen oder auch das neue, jury-freundliche Gesicht aus dem Drucker für alle Kandidatinnen von Germany’s Next Topmodel. Kein Scherz.

Denn wenn der Drucker erst einmal alle Arten von Gewebe drucken kann, dann natürlich auch ein ganzes Gesicht. Kein Schönheitschirurg wird sich dieses Geschäft entgehen lassen. Und das ist längst nicht die ultimative Utopie. Am Ende der Entwicklung sitzt der 3D-gedruckte Mensch in seinem 3D-gedruckten Haus und verspeist seine 3D-gedruckte Mahlzeit. Wie schmal der Grat zwischen Utopie und Dystopie doch geworden ist!

Bis es so weit ist, hilft der Drucker jedoch bereits heute vielen Kranken. Die TU München zum Beispiel hat eine Sehhilfe entwickelt und 3D-gedruckt, eine Brille mit Infrarotkamera, mit der schwer sehbehinderte Menschen Hindernisse auf ihrem Weg deutlich und scharf „sehen“ können: Die Brille vibriert, sobald sie ein Hindernis ausmacht.

Und schon jetzt setzen Ärzte ohne Grenzen Gesichtsmasken aus dem 3D-Drucker bei der Behandlung von Opfern von Verbrennungen, Landminen und Explosionen ein. Die Masken ermöglichen eine schnellere Wundheilung bei gleichzeitig geringerer Narbenbildung. Natürlich wären diese Masken überflüssig, wenn die menschliche Rasse in rund 40.000 Jahren Entwicklung moderner Zivilisation endlich gelernt hätte, friedlich zusammenzuleben. Doch das ist eine Utopie, die noch viel utopischer ist als die 3D-Organ-Runderneuerung des Menschen der Zukunft.

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