Was kommt auf uns zu? Viele werfen zu Beginn eines Jahres einen Blick in die Zukunft: Trendanalysten, Zukunftsforscher, Branchengrößen. Wir haben mal die Liste von Setlog herausgegriffen, dem deutschen Software-Haus für die digitale Supply Chain. An oberer Stelle der Trends und Themen für 2022 steht – worauf tippen Sie?
Naheliegend: das Lieferkettengesetz. Es tritt zwar erst am 01.01.2023 in Kraft, doch dessen Auflagen sind so drastisch, dass die betroffenen Unternehmen jetzt schon auf 180 rotieren. Denn laut Gesetz hat ab nächstem Jahr nicht der Plantagen-Sklavenhalter, der seine Arbeiter ausbeutet, den Schwarzen Peter, sondern auch und gerade das deutsche Unternehmen, das die Plantagenfrüchte vom Lieferanten des Lieferanten des Lieferanten bezieht. Wenn irgendwo in der endlos langen und unübersichtlichen globalen Lieferkette irgendeine Sauerei passiert, ist auch das deutsche Unternehmen dran, das nichts getan hat, als in gutem Glauben „heiße“ Ware zu bestellen. Noch nie seit Erfindung des Tauschhandels gab es eine exzessivere Ausweitung der Haftung. Natürlich dient sie dem Schutz der Menschen in den Lieferketten und ist daher absolut gerechtfertigt – aus moralischer Sicht. Doch ob bestimmte Produkte, geschweige denn Unternehmen mit so einer heftigen Haftung überhaupt noch rentabel sind, werden wir dann im neuen Jahr erleben, wenn Regalplätze leer bleiben.
Ein Kernelement des neuen Gesetzes ist die Einrichtung eines Risikomanagements im Unternehmen, das die Risiken von Menschenrechtsverletzungen analysieren, minimieren oder vermeiden soll. Die Verantwortung jedes deutschen Unternehmens endet dann nicht mehr am eigenen Werkstor. Das wird spannend: Die konkreten Konsequenzen des Gesetzes für Unternehmen und Verbraucher sind noch gar nicht absehbar. Außer vielleicht, dass Juristen noch mehr zu tun bekommen. Man darf gespannt sein, wie die Unternehmen das umsetzen, ohne Pleite zu gehen und ohne eine eigene Police Force zu gründen.
Zweiter Mega-Trend: Supply Chain Resilience. Nicht erst Corona hat uns gezeigt, dass Lieferketten krisenfester werden müssen. Re-Shoring und Near-Shoring nehmen zu. Denn nach der Krise ist vor der Krise. Wobei das einfacher gesagt als getan ist: Offshoring hat so viele Unternehmen und Branchen im Westen plattgemacht, dass oft keine oder zu wenige Lieferanten mehr vorhanden sind, bei denen man ortsnäher und damit resilienter beschaffen könnte. Jetzt müssen die Zulieferer erst mühsam wieder aufgebaut werden.
Dritter Trend, ebenfalls erwartbar: War for Talents. Der Fach- und Führungskräftemangel verschärft sich. In fast jedem westlichen Land fehlen zum Beispiel Zehntausende LKW-Fahrer. Und trotzdem wird noch immer ein ganzes Geschlecht praktisch ignoriert: Der Frauen-Anteil in Logistik, Transport und Verkehr liegt bei 20 Prozent (2017). Da wird viel Potenzial verschenkt, nicht nur gemessen an den reinen Zahlen. Was Frauen an Charaktereigenschaften und sozialem Verhalten mitbringen, wäre ebenfalls eine Bereicherung für die Branche.
Vierter Trend: Customer Centricity, quasi Kundenorientierung 4.0. Nicht mehr das Produkt oder die Leistung stehen im Mittelpunkt wirtschaftlichen Kalküls, sondern der Kunde. Das ist die Amazon-Philosophie: Der ganze Fokus liegt auf dem Kunden und vom Kunden aus wird die komplette Wertschöpfungskette rückwärts gedacht und gestaltet. Niemand würde bestreiten, dass das Konzept extrem erfolgreich ist. Nicht das bessere Produkt gewinnt, sondern der Anbieter, der es dem Endkunden am einfachsten und angenehmsten macht. Auch mit Hilfe von Experience Management: Muss ich mir denn zum Beispiel immer noch die Finger wundklicken, um eine Bestellung auszulösen? Wie übersichtlich und aktuell ist das Tracking? Und versteht der Paketbote vor meiner Tür unter Umständen auch Deutsch?
Und noch ein Trend: die Abstimmung von Angebot und Nachfrage; Fachbegriff „Demand Planning“. Zu Corona-Zeiten lag diese Planung so weit daneben, dass wochenlang und massenhaft bestimmte Regalplätze leer standen. Der Forecast funktionierte nur für stabile Zeiten. Diese jedoch sind bis auf weiteres vorbei. Wir brauchen Forecast-Modelle und eine Szenarioplanung, die schockfest und krisensicher ist. Nicht mehr das bessere Produkt gewinnt, sondern das Unternehmen, das auch in der nächsten Krise liefern kann.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass bei dynamischer Weltlage die Unternehmen mit sturmfest hoher Lieferfähigkeit immense Wettbewerbsvorteile genießen – auch über die aktuelle Krise hinaus. So gesehen sind wir genau in der richtigen Branche: Supply Chain Management wird zum Schlüsselfaktor des wirtschaftlichen Erfolgs der Zukunft.