Heutzutage steckt in (fast) allem ein Chip. Alles ist smart, alles ist vernetzt, alles braucht Chips, auch unsere Autos. Ein Auto war früher mal ein Fahrzeug, heute ist es ein Computer auf Rädern. Ein normaler Mittelklassewagen hat inzwischen mehr Rechenleistung als damals die NASA-Computer für die erste Mondlandung. Und das ist erst der Anfang.
Roland Berger schätzt in einer Studie, dass bis 2025 der Betrag, den Automobilhersteller für elektronische Komponenten in ihren Autos bezahlen, von heute 3.000 US-Dollar auf 7.000 USD steigen wird. Eine Steigerung von über 100 Prozent bis in nicht einmal fünf Jahren. Alte Autos kommen dann nicht mehr auf den Schrottplatz, sondern zum Elektromüll. Der Trend zur Elektromobilität verstärkt diese Entwicklung noch. Eine der größten Branchen im Land wird gerade auf links gezogen.
Die Hauptlieferanten der Branche liefern nicht mehr Verbrennungsmotoren, Vergaser und Getriebe, sondern Kabelbäume, Chips und Prozessoren. Zulieferer wie Bosch, Continental oder ZF haben praktisch ihr komplettes Lieferprogramm auf den Kopf gestellt. Bosch, der weltgrößte Automobilzulieferer, beschäftigt inzwischen 30.000 eigene Software-Entwickler und rechnet bis 2030 mit zweistelligen Wachstumsraten auf ca. 200 Milliarden Euro Marktvolumen für elektronische Komponenten. Früher war jemand, der etwas von Autos verstand, Mechaniker. Heute ist er Coder.
Diesen radikalen Wandel von der Mechanik zur Software schaffen die meisten nicht allein. Bosch zum Beispiel ging eine Allianz mit der VW-Tochter Cariad ein. Cariad ist die Software-Schmiede im VW-Konzern, die das teil- und vollautonome Fahren in die breite Anwendung bringen soll. So soll nach dem Vorbild von Tesla ein neues, eigenes Betriebssystem für Autos entwickelt werden, sowohl für VW als auch für externe Kunden. Das ist eine radikale Transformation: Vom Autobauer zum Software-orientierten Mobilitätskonzern. Nicht mehr Autos, sondern Software bewegt die Welt.
Da ist auch der Gedanke nicht mehr fern, dass wir künftig für ein neues Auto kein neues Auto mehr kaufen müssen: Einfach mit Paypal bezahlen, Update downloaden und schon haben wir eine bessere E-Motorleistung, ein Navi, das auch Kaffee kocht und fünf neue Fahrassistenten, von denen einer mit doppeltem Rittberger einparken kann. Wie einfallsreich Programmierer bei der Auto-Software zur Not sein können, haben sie ja schon beim Diesel bewiesen …
Komplett verändert hat sich auch die Konkurrenz. Früher konkurrierten Bosch, Continental und ZF mit anderen Kfz-Zulieferern. Heute konkurrieren sie mit Branchenfremden aus der Tech-Branche: Nvidia, Qualcomm und Intel. Diese Firmen kennen wir Konsumenten eigentlich nur als Hersteller von so nützlichen Dingen wie Graphik-Karten und Prozessoren für Handys und Notebooks. Das Problem dieser neuen Konkurrenz ist: Vergleicht man Chip- und Kfz-Konzerne, fällt schnell auf, dass der Automobilzulieferer im Schnitt eine Umsatzrendite von 5-6 Prozent erzielt, der Chip-Konzern dagegen 25 bis 36 Prozent. Nvidia macht (2021) rund 10 Mrd. Dollar Nettogewinn. Zur Not kaufen die Tech-Giganten die ganze Automobilbranche einfach auf.
Wer würde in den Wirren der Digitalen Revolution sein Geld noch auf Traditionsunternehmen wie Bosch setzen? Eine interessante Wette; der Kampf ungleicher Gegner. Am gewinnträchtigsten ist in der digitalen Welt dabei nicht die Herstellung von Hardware, zum Beispiel Chips, sondern das Schreiben der Programme, die darauf laufen. Auch deshalb stellen die klassischen Automobilzulieferer aktuell Legionen von Programmierern ein. Die eigentlichen Automobilhersteller dagegen halten das unterschiedlich.
Während VW wie gesagt die eigene Tochter Cariad codieren lässt, lässt Mercedes-Benz extern bei Nvidia programmieren und kauft bei ZF Bordcomputer mit Nvidia-Chips. Wobei wie so oft in der heutigen Zeit andere Teile der Welt dabei agiler agieren als wir. Die asiatischen Automobil-Zulieferer haben ihren Weltmarktanteil im letzten Jahr um 43 Prozent ausbauen können – was für eine Steigerung! Bosch, Continental und ZF halten zwar immer noch 26 Prozent am Weltmarkt, doch die Konkurrenz aus Asien gewinnt Marktanteile. Schlimmer: Während Corona fuhren asiatische Zulieferer Betriebsgewinne ein, während andere weiter westlich Probleme mit der Rentabilität bekamen. Man vermutet als Gründe für den asiatischen Vorsprung: geringere Personalkosten, weniger scharfe Lockdowns und gearbeitet wurde selbst dann, als die halbe Abteilung nieste.
Auch deshalb liegt die Eigenkapitalquote asiatischer Zulieferer bei 48 Prozent; bei den deutschen sank sie zuletzt auf 21 Prozent. Die deutschen Zulieferer werden in die Zange genommen: Sie müssen sowohl mit den asiatischen Konkurrenten als auch mit den US-Tech-Giganten konkurrieren. Ein stahlhartes Business, von dem wir nichts ahnen, wenn wir heute wieder den analogen Zündschlüssel drehen oder, zeitgemäß digital, den Starterknopf drücken.