Was haben Chefs gegen Frauen?

Täglich hören und lesen wir in den Medien von Disruptionen der Lieferketten. Wir erleben diese Störungen hautnah im Discounter bei Mehl, Öl, Balsamico und anderen leeren Regalplätzen. Viele Kommunen haben keine Gelben Säcke mehr, weil Lieferanten nicht liefern. Handel und Handwerk fehlt Verpackungsmaterial. Herzpatienten warten wochenlang auf ihre Medikamente. Und all diese schlimmer statt besser werdenden Versorgungsprobleme möchte die Logistik bewältigen – ohne Frauen?

Rund 20 Prozent beträgt der Frauenanteil in der Logistik, hauptsächlich auf der Hier-wird-angepackt!-Ebene. Auf den Führungsetagen liegt er bedeutend tiefer. Eine ganze Branche möchte also ihre seit Jahrzehnten schlimmsten Probleme lösen, indem sie die Hälfte der Menschheit ausklammert? Von „möchten“ kann keine Rede sein! Natürlich möchte die Branche mehr Frauen in der Logistik. Aber: Frauen möchten nicht in die Logistik (mit Ausnahme der Trucker Babes von Kabel 1). Warum nicht?

Jeder Chef hat dazu eine Meinung. Doch was sind die wirklichen Gründe?

Das war bislang nicht gut und vor allem nicht umfangreich branchenspezifisch erforscht. Weshalb unser Lehrstuhl-Team sich unlängst in die Feldforschung stürzte. Die ersten Forschungsergebnisse zeigen nun, dass die weiblichen Führungskräfte in der Logistik mit ihren eigenen Teams im Normalfall gut zurechtkommen. Das ist nicht das Problem, das andere Frauen von einer Bewerbung bei einer Spedition abhält. Das Problem sitzt a) auf höherer Ebene in Form von Schwierigkeiten mit Vorgesetzten und b) auf gleicher Ebene in Gestalt von Schwierigkeiten mit Kollegen gleichen Rangs, die in anderen Teams oder Organisationseinheiten arbeiten.

Die Leiterin der Dispo zum Beispiel hat ein tolles, leistungsstarkes Team und wird von diesem auch geschätzt (einige Disponenten sagen: „Sie ist besser als der alte Abteilungsleiter!“). Doch mit dem Leiter der Zollabwicklung hat die Dispo-Chefin wöchentlich einmal Zoff. Nicht aus sachlichen Gründen, wie jeder in der Spedition weiß, sondern weil der Zoll-Chef noch zu wenige weibliche Führungskräfte kennt, um zu wissen, was Frauen in Führungspositionen erwarten. Aus dem Privaten ist er beispielsweise gewohnt, dass er als ausgewiesener Experte den Frauen im privaten Umfeld öfter mal erklären muss, wie die Versorgung der Welt (vulgo: Logistik) und wie Supply Chain Management (allgemeinverständlich: Globalisierung) funktionieren.

Weil sich das privat bei Frauen bewährt hat, macht er das in der Firma auch im Gespräch mit Frauen, was auf eine Frau, die fachlich mindestens genauso kompetent ist wie er, irritierend bis herablassend wirkt und deshalb Widerspruch hervorruft, der dann zum wöchentlichen Konflikt eskaliert, worauf er (falsch) urteilt: „So eine Zicke! Lässt sich partout nichts sagen!“ Während sie über ihn (falsch) urteilt: „Was für ein Mansplainer! Muss dem dummen Frauchen die Welt erklären!“ Kein Wunder, dass sie immer noch die einzige Frau in der Spedition ist. Welche Bewerberin würde sich so ein Arbeitsklima antun, wo es überall sonst (auch) einen gellenden Fachkräftemangel gibt? Andere Frage: Sind denn alle Männer doof?

Nein, die Misere hat einen anderen Grund, den unter anderem die Theorie der sozialen Identität (nach Henri Tajfel) beleuchtet. Sie sagt: Unser Selbstkonzept speist sich nicht nur aus unseren ganz persönlichen Eigenschaften, sondern auch aus unserer sozialen Identität, also auch aus unserer Zugehörigkeit zu einer Gruppe. So identifiziert sich der unreflektiert mansplainende Zoll-Leiter ganz selbstverständlich auch mit seiner Zugehörigkeit zur Subgruppe der Führungskräfte. Und da liegt der Hase im Pfeffer: Nicht nur in seiner Spedition, sondern in der ganzen Branche besteht die Subgruppe der Führungskräfte zu rund 95 Prozent aus Männern, die ganz selbstverständlich der identitätssichernden Gruppendynamik folgen und auf Außenseiter (wie Frauen) mit Abgrenzung bis Animosität reagieren. Sie wehren ab, was nicht zu ihnen gehört, wie ein Schachspieler jeden Dame-Spieler abwehrt, der auf „seinem“ Spielfeld plötzlich mit Dame-Steinen operiert. Frauen nennen das dann Old Boys Network. Und beide Seiten sind unglücklich damit. Was tun?

Die einfachste, jedoch stark paradoxe Lösung wäre: Mehr Frauen in die Chefetagen der Logistik! Dann würde sich die Gruppenidentität von „erdrückend männlich“ in „idealerweise paritätisch“ wandeln und Frauen wären akzeptiert, da keine Außenseiter mehr. Was wie gesagt paradox ist, da eben nicht mehr Frauen reinwollen, solange sie noch Außenseiterinnen sind. Daher andere Lösung: Kommunikationskultur ändern.

Der an sich hoch intelligente und wenig neurotische Zoll-Leiter sollte seine stark unterbewusst gesteuerte Gesprächsroutine reflektieren lernen, als Mansplaining erkennen und (in der Spedition) abstellen. Dabei können ihn die üblichen Maßnahmen von Weiterbildung und Personalentwicklung unterstützen: Coaching, Gruppencoaching, Führungskräfte-Entwicklung, Cultural Change Management. Oder einfach ein Mitarbeitergespräch mit seinem Chef, der (hoffentlich) schon ein wenig weiter ist als er, weil er erkannt hat, dass er seinen Fach- und Führungskräftemangel niemals lindern können wird, wenn er nicht mehr Frauen einstellt. Der Clou ist: Die fortschrittlichsten Unternehmen vollziehen bereits den nötigen Cultural Change und das macht sich nicht nur in einer höheren Frauenquote bemerkbar, sondern auch in einer höheren Arbeitszufriedenheit bei allen.

Denn nicht nur Frauen werden im rauen Ton des Berufsalltags grob angefasst bis abgewertet, sondern auch jeder Mann, der von der Gruppennorm abweicht: 50-jährige Fahrer, die wegen gesundheitlicher Probleme nicht dasselbe Pensum schaffen wie 28-jährige Kollegen oder Lagerarbeiter, die nicht wie andere bei Gabelstapler-Knappheit auch mal eine halbe Palette von Hand den Gang runter balancieren. Sie alle leiden in einer toxischen Kommunikationskultur täglich moderat bis stark.

Idealerweise ist nach wenigen Monaten der Kommunikationsoptimierung eine Firmenkultur so weit, dass nicht nur die Chefs, sondern wirklich alle im Betrieb darauf achten und Feedback geben zum Beispiel unter vier Augen in der Form: „Hör mal, ich weiß, du meinst es gut – aber so kannst du nicht mit einer Kollegin reden!“ Das klingt nun wieder so, als ob Frauen die armen, alten, kranken Opfer seien. Sind sie nicht.

Nicht, nachdem auch sie erkannt haben, wie sie die Transformation einer ganzen Branche beschleunigen können. Zum Beispiel nach einem (von der Spedition bezahlten) Coaching, natürlich bei einer Coachin. Seither erwidert die Dispo-Chefin dem Zoll-Kollegen, wenn er mal wieder zum Mansplaining ansetzt: „Richard, erklären Sie mir nicht, wie die seit dem Brexit apokalyptisch komplizierte Zollabfertigung am Kanal funktioniert – das weiß ich nämlich auch. Erzählen Sie mir lieber, wie zum Kuckuck Sie damals bei der Großlieferung den britischen Zöllner ohne Bestechung so schnell rumgekriegt haben!“ Der Kollege darf vor der Kollegin mit einem Kabinettstückchen prahlen? Das macht er doch viel lieber, als ihr die Welt zu erklären! Und beide sind zufrieden.

Frauen sind allgemein im Schnitt besser ausgebildet als Männer. Frauen haben persönliche Eigenschaften, die der Branche guttun: bessere Kommunikationskompetenzen, starker Gemeinsinn und Teamorientierung, größere Offenheit für Veränderungen – und genau das braucht die Branche, um die größten Krisen und Herausforderungen ihrer Geschichte zu meistern. Wir, die wir auch morgen noch trotz Pandemien und Kriegen vor vollen Regalen stehen und alle unsere Online-Bestellungen pünktlich an der Haustür entgegen nehmen wollen, fordern daher:

Mehr Frauen in die Logistik!

 

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