Warum shart keiner?

„Keiner“ stimmt nicht ganz. Aber: Carsharing war mal eine ganz große Sache, einer der ganz wichtigen Klima-Retter und jetzt redet kaum einer mehr drüber. Wenn man noch drüber redet, dann darüber, warum kaum jemand shared.

Natürlich teilen heute deutlich mehr Menschen ein Auto als noch vor fünf Jahren. Aber „mehr“ als „keiner“ ist immer noch wenig. Kennen Sie jemand, der Carsharing nutzt? Außerhalb der Großstädte wird das kaum der Fall sein. Woran liegt das?

Sicher nicht an den Anbietern. Was schätzen Sie? Wie viele gibt es inzwischen? 243. Das ist eine stattliche Zahl (Januar 2022). Das ist genau das, was Umwelt, Klima und Ressourcen brauchen: Schonung. Das sorgt dafür, dass aus dem Standzeug wieder ein Fahrzeug wird. Denn ohne Sharing steht ein Auto im Schnitt 23 Stunden am Tag still, ungenutzt und unproduktiv bloß rum. Noch vor Jahren gab es kaum Anbieter. Jetzt über 200! Das ist Rekord. Das ist vorbildlich.

Diese Anbieter stellen insgesamt 30.200 Autos fürs Sharing zur Verfügung. Das lohnt sich! Laut Stiftung Warentest. In einer Modellrechnung auf Basis von 5.000 Jahreskilometern kostet ein Eigenwagen 206 Euro – pro Monat. Ein Sharing Car dagegen 138 Euro, was jährlich 816 Euro spart. In Zeiten der galoppierenden Inflation und der Heizkostenexplosion macht das einen deutlichen Unterschied. Das kann Haushalte retten. Warum nutzen dann nur 3,39 Mio. Menschen pro Jahr (2022) das Sharing?

Bei 42,8 Millionen Führerscheininhabern (2021) sind das grob nicht einmal 10 Prozent. Warum? Weil 90 Prozent der Autofahrer das Klima so sehr hassen? Oder den Gedanken, mit anderen ein Auto teilen zu müssen? Das kann es nicht sein.

Denn wenn man die Menschen befragt, stellen alle dem Sharing ein gutes Zeugnis aus; insbesondere jene, die es nutzen. Fragt man Nicht-Nutzer, warum sie dann nicht sharen, kommen meist drei Gründe. Der erste: Wirklich überzeugend finden Befragte heutzutage nur noch das E-Auto als Sharing Car. Aber solange es nicht genügend Ladestellen gibt, kann man ja kein Auto sharen. Klingt nach Ausrede. Denn auch ein Benziner spart die erwähnten 816 Euro und schont das Klima, weil im Schnitt für 1 Sharing Car 18 Eigenwagen nicht hergestellt werden müssen: Das umwelt-, ressourcen- und klimafreundlichste Auto ist immer noch jenes, das nicht gebaut wird.

Zweiter Grund fürs Non-Sharing: Die 243 Anbieter sind kein Plus, sondern ein Minus, weil ihre teils unterschiedlichen Konzepte sich nicht und vor allem nahtlos ergänzen, sondern sich gegenseitig Konkurrenz machen und potenzielle Nutzer verwirren: Was gilt bei wem? Man will Auto fahren/sharen und nicht erst ein Zusatzstudium in Nutzungsbedingungen ablegen müssen.

Dritter Grund: Convenience, sprich Erwartungshaltung. Eine große Zahl jener, die durchaus sharen würden, möchte Full-Service – und nicht das gesharte Auto nach Gebrauch selber reinigen und betanken und vor allem nicht dort wieder abstellen müssen, wo man es bestiegen hat (sog. Free-Floating-Konzept). Bislang muss man bei vielen Anbietern das Auto dort wieder parken, wo man es abgeholt hat – was jetzt nicht wirklich dem Begriff „Mobilität“ entspricht.

Dagegen spielt die Vielzahl der verschiedenen Automodelle eines Anbieters so gut wie keine Rolle. Den meisten Kunden ist es praktisch egal, ob sie, jetzt grob gesprochen, eine S-Klasse sharen oder einen Fiat 500.

Wie sehr Carsharing als Klimaretter verspielt hat, zeigt die Reaktion der großen Anbieter. Daimler und BMW haben ihr Share Now an Stellantis verkauft. VW hat die Sharing-Expansion abgeblasen und konzentriert sie nur noch auf Berlin und Hamburg. Warum? Wir können uns vorstellen, was die Konzern-Controller sagen: „Geld kann man damit nicht wirklich verdienen und auch nicht das Klima retten, wenn die Nutzung so unterirdisch schwach ist.“ Es ist wie immer: Der Markt sagt, wo’s langgeht. Und der Markt sind wir.

Immer wollen alle das Klima retten – wenn man darüber spricht. Geht es ans Machen, herrscht dagegen Fehlanzeige. Sharing entlastet Ressourcen, Klima und Umwelt und macht das ineffizienteste Gadget des 21. Jahrhunderts halbwegs effizient. Sharing ist etwas wirklich Gutes. Mit der reinen Vernunft betrachtet. Aber sag das mal dem unvernünftigsten Lebewesen dieser Erde …

2 Kommentare zu „Warum shart keiner?

  1. So richtig stichhaltig finde ich die Punkte 2 und 3 nicht.

    Das es 243 Anbieter sind liegt vor allem daran, dass es viele lokale Anbieter oder Initiativen sind, die Carsharing anbieten. Pro Stadt ist die Anzahl der Anbieter dann wieder überschaubar (Hier in Stuttgart kenne kenne ich 4, davon sind nur 2 in der Fläche vertretten).

    Und gegen Punkt 3, die Convenience-Erwartungshaltung, spricht meines erachtens, dass es vor allem die stationsbasierten Anbieter sind, die stetig wachsen. Aus dem Markt zurückziehen oder verkleinern tun sich in letzter Zeit Free-Floating-Anbieter, die diese angebliche Erwartungshaltung nach Full-Service ja erfüllen.

    Gibt es denn eine konkrete Umfrage, die diesem Artikel zu Grunde liegt?

    1. Danke, lieber Michael, dass Sie kritisch in die Diskussion mit einsteigen. Ihr Hinweis auf die vorzugsweise lokale Aktivität der einzelnen Anbieter halte ich für eine treffende Erweiterung der Diskussion. Darüber hinaus sprechen Sie ein echtes Paradoxon an, wenn Sie darauf verweisen, dass vor allem Free-Floating-Anbieter die Segel streichen. Wie immer hat unser Recherche-Team die Angaben aus verschiedenen Quellen zusammengetragen – was ebenfalls wie immer sozusagen die Verhandlungsbasis ist: Interessanter als der Erstaufschlag des Blogs ist prinzipiell die weiterführende Diskussion, die wir damit anstoßen und anregen wollen. Nur so wächst Wissen auch um dieses Phänomen unserer Zeit, das eigentlich das Klima mitretten wollte und sollte und das wir immer noch für ein nützliches und hilfreiches halten. Evi Hartmann

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