Warum überhaupt noch arbeiten?

Seit vor einigen Tagen diese Studie herauskam, träumen wir alle von der 4-Tage-Woche. Die University of Cambridge und das Boston College haben das bislang größte Feldexperiment zum Thema mit rund 3.000 Mitarbeitenden in 61 britischen Unternehmen durchgeführt.

Die Ergebnisse, die Schlagzeilen in den Massenmedien machten: Trotz eines Wochentages weniger sank die Produktivität nicht; sie blieb konstant. Der Umsatz der Unternehmen wuchs sogar leicht, im Schnitt um 1,4 Prozent. Die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitend stieg; natürlich. Die Konstanz der Produktivität lässt sich mit den geringeren Fehlzeiten und Krankheitstagen erklären. Wer weniger arbeitet, ist weniger krank. So auch das offizielle Statement: Die längere wöchentliche Erholung trage zur Erhaltung der Gesundheit bei – und das sogar stärker als der Jahresurlaub; eine bahnbrechende Erkenntnis.

Eine isländische Studie belegt, dass zum Ausgleich für die Arbeitszeitverkürzung nicht übermäßig mehr Überstunden eingelegt wurden. Und natürlich zeigen solche Studien regelmäßig, dass es mit 4-Tage-Woche weniger Stress und Fluktuation gibt. Also: Win-win für alle!

So wurde das zumindest medial gefeiert. Nach dem Motto: Wenn die 4-Tage-Woche so super ist – warum führen wir sie dann nicht sofort branchenübergreifend ein? Am besten per Gesetz? Weil wieder mal die Binse übersehen wurde: Jedes Ding hat zwei Seiten. Und die zweite Seite wurde weitgehend unterschlagen – sie hätte die Euphorie gestört. Holen wir das nach.

Wer jede Woche einen Tag weniger arbeitet, hat entsprechend weniger Urlaubstage; logisch, oder? Und dass man sich wegen der 4-Tage-Woche besser erholt als im Jahresurlaub, heißt noch nicht, dass die Millionen Urlaubsbegeisterte unter uns sich den geliebten Urlaub zusammenstreichen lassen wollen. Die arbeiten, um zu urlauben! Wieso spricht davon niemand?

Weil dieser Effekt gar nicht auftaucht. Wie bei allen Methoden der empirischen Sozialforschung gilt: Du musst dir das Ergebnis nicht per Analyse und kreativer Statistik ex post schönrechnen, wenn du das Studien-Design ex ante so zurechtpfriemelst, dass „es passt“: Die britisch-amerikanische Studie war von Juni bis Dezember angelegt. Das ist viel Zeit, aber eben nicht genug für den Urlaubseffekt.

Was im Jubel ebenfalls unterging: Wenn alle Arbeitenden idealerweise die 4-Tage-Woche haben – wir Kunden haben sie ganz sicher nicht! Wir Kunden erwarten selbstverständlich, dass wir am Freitag bis mindestens Mittag noch jemanden an die Strippe kriegen. Nennt man Kundenorientierung; neuerdings „Customer Centricity“. Ist sie bei Firma A nicht gegeben, wechseln wir ceteris paribus recht schnell zu Firma B.

Möchte Firma A trotzdem die 4-Tage-Woche einführen, braucht sie Schichtbetrieb – und die Kosten steigen. Oder sie braucht mehr Personal: dito. Man denke auch an Krankenhäuser, Pflegeheime oder Handwerker. Die müssten dann mehr Leute einstellen, wo sie bereits heute nicht genügend haben und bekommen können. Das gilt für alle Unternehmen und Branchen mit sogenanntem Fachkräftemangel.

Und noch einen Punkt betrachten die Jubler nicht: In einem Experiment kann man eine Größe zur Konstante machen, die im freien Wirtschaftsleben eine Variable ist: Lohn und Gehalt. Viele Unternehmen der realen Wirtschaft werden nämlich sagen: „Ihr arbeitet weniger? Dann kriegt ihr auch weniger Lohn – Produktivität hin oder her.“ Das gibt die Tarifautonomie her. Natürlich werden große Unternehmen sich den vollen Lohnausgleich leisten können – kleine und viele mittlere nicht. Die Großen leisten sich auch noch diesen Luxus, die Kleinen gehen ein, weil sie keine Leute mehr kriegen. Wer arbeitet denn noch fünf, wenn andere nur noch vier Tage arbeiten? Doch selbst das ist nicht die Spitze der Entwicklung.

Ein befreundeter Manager erzählte mir von seinem letzten Bewerber-Interview. Der Kandidat, 25, exzellente Master-Note, sagte im Bewerbungsgespräch unvermittelt: „Wie halten Sie es übrigens mit der 3-Tage-Woche? Man braucht ja auch Zeit, um den Akku wieder aufzuladen. Und für die Work-Life-Balance.“ Der Manager sagte darauf nichts. Es hatte ihm die Sprache verschlagen.

Als er sie wieder gefunden hatte, erkannte er in der Anfrage des Bewerbers den heimlichen Mindset hinter der 4- oder 3-Tage-Woche: Am liebsten gar nicht mehr arbeiten. Denn Arbeit schadet dem Leben. Der Clou ist, dass die hyperbeschleunigte, hochdruckverdichtete, zigfachbelastende, sinnreduzierte, auch vom gefeierten Purpose nicht mehr zu rettende Arbeit das in vielen Berufen und Unternehmen tatsächlich tut; Stichwort „Toxic Work“. Ein gutes Stichwort.

Denn es beleuchtet und bezeichnet zugleich den grundlegenden Denkfehler der 4-Tage-Utopisten: Wenn ich morgen früh zur Frühstückszeit meinen Küchenschrank öffne und eine große Müsli-Dose mit dem Label „Toxic!“ darin finde, aus der ich bislang Woche für Woche fünf Esslöffel geschöpft habe, dann reduziere ich diese Giftdosis nicht qua Einsicht morgen früh auf vier Löffel – sondern greife dann doch lieber zum nicht-toxischen Müsli. Ist gesünder. Das Müsli gibt es schon lange in echt.

Seit mindestens 1980, als Hackman und Oldham ihr „Job Characteristics Model“ veröffentlichten. Damit hatten sie herausgefunden und belegt, dass es für eine gesunde und sogar erfüllende Arbeit nur fünf Faktoren braucht. Die 4-Tage-Woche ist nicht darunter: Für einen toxischen Job sind selbst zwei Tage noch zu viel.

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