Schneller mit Quanten

Alle reden vom Quantencomputer; was viele nicht wissen: Das ist keine Utopie mehr. Bereits im Juni 2021 wurde der erste Quantencomputer auf deutschem Boden in Betrieb genommen, natürlich von und bei IBM. Hat lange genug gedauert.

Denn seit circa 30 Jahren wird daran geforscht. Weil das Potenzial der Technologie atemberaubend ist. Quantencomputer sind so viel schneller und stärker als herkömmliche Computer. Wo ein normaler Computer für eine ausgewählte hoch komplexe Themenstellung 150.000 Jahre bis zur Lösung bräuchte, schafft ein Quantencomputer die Lösung desselben Problems in wenigen Tagen, ist mithin millionenfach schneller. Warum?

Weil Quantencomputer mit Quantenbits arbeiten; sogenannten Qubits [kju:bits]. Klassische Bits sind wie bekannt binär, kennen also nur die beiden Zustände 0 und 1. Qubits kennen sowohl die 0 wie auch die 1, doch darüber hinaus auch alles, was zwischen 0 und 1 liegt. Zur Abwechslung geben uns die TechnikexpertInnen einen guten Vergleich an die Hand: Stellen wir uns eine 2-Euro-Münze vor, die sich auf ihrem Rand stehend schnell wie ein Kreisel dreht. Wenn sie fällt und liegenbleibt, manifestiert sie binär entweder Kopf oder Zahl – wie normale Bits. Ein Qubit dagegen kann sozusagen während des blitzschnellen Kreiselns der Münze auch sämtliche Zustände zwischen Kopf und Zahl darstellen. Das verleiht ihm seine rasende Geschwindigkeit. Der Vergleich mit der Münze ist zwar illustrativ, doch sehr abstrakt. Betrachten wir daher ein klassisches Problem aus der Praxis.

Wirklich alle, die mit Vertrieb, Außendienst oder Logistik zu tun haben, kennen das Problem des Handlungsreisenden: Was ist seine optimale Route? Ein klassischer Computer rechnet die verschiedenen Routen immer eine nach der anderen aus und vergleicht sie dann. Ein Quantencomputer analysiert sämtliche möglichen Routen gleichzeitig und schlägt seinen Vorgänger daher um Längen. Das Potenzial der Quantencomputer ist atemberaubend.

Deshalb investiert die Bundesregierung bis 2025 auch zwei Milliarden Euro, um in der Quantentechnologie zur Weltspitze aufzuschließen. Gleichzeitig haben große deutsche Unternehmen das Quantum Technology & Application Consortium QUTAC gebildet; darunter unter anderem BMW, Bosch, Telekom, Siemens, Münchner Rück, Boehringer Ingelheim und VW. Das gemeinsame Ziel ist es, die Quantentechnologie auf dem Weg in die Praxis zu begleiten, indem die Konsortialpartner substanzielle Ressourcen für Forschung und Entwicklung bündeln und unterschiedliche Entwicklungsprojekte aufeinander abstimmen, damit sie sich gegenseitig beschleunigen.

Jene wenigen Quantencomputer, die heute bereits in der Praxis eingesetzt werden, zeichnen sich vor allem durch ihre hohe Kapazität bei der Simulation von Molekülen und Materialien zum Beispiel in Chemie, Pharma und Materialtechnik aus. Das heißt, Forscher und Entwickler, die neue Medikamente oder Materialien entwickeln, müssen nicht aufwändig und zeitraubend die Ingredienzen im Reagenzglas anrühren oder im Materiallabor auf dem Teststand physisch testen. Sie können das stattdessen in Minutenschnelle vom Quantencomputer durchrechnen lassen. Das spart Zeit und Kosten und auf diese Art sind schon viele Materialien entdeckt worden, die man sich ohne den Quantencomputer nicht hätte vorstellen können. Auf diese Weise lassen sich auch komplette mechanische Systeme durchrechnen – ohne dass man mit viel Hardware-Einsatz aufwändige Test-Arrays in riesigen Hallen aufbauen müsste. Quantencomputer beschleunigen auch die Raumfahrt, die bekannt dafür ist, dass sie selbst noch die unmöglichsten Szenarien durchrechnen muss – just in case.

Eben weil Quantencomputer so viel können, wird auch für die kommenden Jahre viel von ihnen erwartet: Sie sollen neue Medikamente schneller und zuverlässiger entwickeln als jemals zuvor, aufwändige und bislang faktisch unlösbare Optimierungsprobleme schnell lösen, das Maschinenlernen weiterentwickeln und eine stark verbesserte Datenbanksuche durch die Verknüpfung tausender Datensätze in kürzester Zeit ermöglichen. Was Quantencomputer wegen ihrer riesigen Rechenleistung auch noch können werden: So gut wie jede Verschlüsselung knacken, weil sie nicht erst mühsam einen Schlüssel nach dem anderen testen müssen, sondern sämtliche Schlüssel einfach gleichzeitig durchprobieren. Daher werden bald auch ganz neue Sicherheitsmechanismen gefunden werden müssen.

In der Logistik warten die Expertinnen und Experten auf den Quantencomputer, weil er die bislang aufwändige und oft deutlich suboptimale Routenplanung revolutionieren wird wie auch die Reihenfolge-Planung, Prognosen oder auch die Szenarioplanung. Ganz konkret könnte ein Quantencomputer den kompletten Lieferverkehr einer Stadt für sämtliche Fahrzeuge gleichzeitig durchrechnen, in gegenseitiger Abhängigkeit: Sollte zum Beispiel ein Fahrzeug ausfallen, kann und wird der Quantencomputer das komplette Liefersystem neu berechnen – in Echtzeit. Das würde die Innenstädte immens von Verkehr, Staus, Lärmbelastung und Luftverschmutzung entlasten, die Umwelt schonen, die Kosten für Logistikdienstleister senken, Unfälle vermeiden, die Lieferqualität verbessern, die Kunden begeistern und die innerstädtische Lebensqualität steigern. Das klingt ehrgeizig?

Aber nicht doch: Wir könnten das Ganze sogar auf globale Ausmaße ausrollen und skalieren. Ein Quantencomputer berechnet und optimiert das komplette Liefernetzwerk der Globalisierung mit sämtlichen Millionen LKW, Zügen, Schiffen und Flugzeugen für alle Länder, alle Tage, alle Millionen Frachtcontainer und jede Minute eines Tages. Welche Effizienzpotenziale da gehoben werden würden! Keine unnötigen Leerfahrten mehr, keine halbleeren LKW auf der Autobahn, viel weniger LKW auf der Autobahn und in den Städten. Das Klima wäre schlagartig entlastet. Worauf also warten wir noch?

Darauf, dass Quantencomputer so zuverlässig schnurren wie die alten Computer. Das tun die neuen Computer nämlich noch nicht. Sie laufen noch nicht stabil, haben Ausfälle; gelegentlich sind ihre Ergebnisse nicht auslesbar. Denn Quantencomputer sind bislang noch äußerst störanfällig bei Temperaturschwankungen und Veränderungen im elektromagnetischen Feld. Doch das sind „nur“ technische Probleme, an denen Heerscharen von Technikern und Ingenieuren mit Hochdruck arbeiten. Noch offen ist, ob es den Quantencomputer irgendwann als Notebook für den privaten Gebrauch geben wird. Einige Forscher und Entwickler zeigen sich da ziemlich zuversichtlich – was möglicherweise in ihrer Natur liegt. Mit etwas Glück erleben wir es noch, das Quantenzeitalter.

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