Weniger Dreck in der Luft

Die gute Nachricht: Die Emission von Treibhausgasen ist hierzulande im letzten Jahr um 1,9 Prozent gesunken. Das sind 15 Millionen Tonnen weniger als 2021. Moment mal, rufen jetzt alle: Das heißt nicht, dass wir nachhaltiger geworden wären und nun aber wirklich das Klima retten.

Das heißt lediglich, dass a) wegen der Corona-bedingten Lieferketten-Disruptionen viele Unternehmen weniger produzieren konnten und daher die Schornsteine weniger rauchten und b) einige Schornsteine komplett stillgelegt wurden, weil wegen der explodierten Energiekosten viele Unternehmen ganze Werke drosselten oder ganz stilllegten und/oder nach Nordamerika abwanderten, wo Energie noch bezahlbar ist. Polemisch formuliert:

1,9% Klimarettung = 1,9% De-Industrialisierung.

Wobei 1,9 Prozent sowieso die falsche Zahl ist. Die richtige Zahl wäre 40,4 Prozent. Um diesen erstaunlichen Prozentsatz sank die deutsche Emission von Treibhausgasen nämlich – seit 1990. Doch diese Zahl hört und sieht man selten in der öffentlichen und medialen Diskussion. Sie passt wohl nicht zum Narrativ der unabwendbaren Klimakatastrophe. Sie passt auch nicht ganz zu deren Logik. Denn wenn wir innerhalb von 32 Jahren rund 40 Prozent weniger die Luft verschmutzen und sich trotzdem nichts am Klima bessert – welcher rein logisch rationale Schluss bietet sich denn da auf dem Silbertablett an? Eben.

Es geht also – auch wenn das die offiziellen Panikmacher der herrschenden Ideologie nicht wahrhaben wollen – voran. Besonders stark hat das verarbeitende Gewerbe seine Treibhausgase reduziert; um 11,6 Prozent. Sogar die Haushalte und Kleinverbraucher haben ihre Emissionen um 5,1 Prozent eingeschränkt – obwohl doch so viele Häuser noch ungedämmt und ohne Wärmepumpe sind. Aber auch das bleibt unkommentiert, weil Erfolge in unserer Jammer- und Bremskultur (Stichwort „Ihr kriegt den Arsch nicht hoch“) offenbar nicht viel wert sind. Das muss man sich mal vorstellen: eine Ideologie, die Erfolg tabuisiert. Wie nennt man die? Man liest nicht von den Erfolgen, sondern immer nur darüber, dass zum Beispiel der Verkehrssektor schon wieder seine Klimaziele verfehlt hat. Seine Emissionen waren 2022 sogar höher als im Vorjahr.

Den größten Anstieg der Emissionen leistete sich die Energiewirtschaft; ihre Treibhausgas-Emissionen stiegen um 4,5 Prozent. Völlig logisch, weil wegen des Gas-Boykotts die Stein- und Braunkohle-Kraftwerke wieder angeschmissen wurden. Doch zurück zum Verkehr. Dieser Sektor hat 2022 rund 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Damit liegt er 9 Millionen Tonnen über seinen gesetzlichen Vorgaben; das sind rund 6,5 Prozent Zielabweichung. Und wegen dieser in wirtschaftlichen Maßstäben beurteilten marginalen Abweichung wird der Sektor und sein Minister gegeißelt? Mit welchem Recht, welcher Logik? Wir sind die Nation der Negaholiker.

Interessant wird die Zielabweichung, wenn wir zwei der 2022 umgesetzten Maßnahmen betrachten: Weder der Anstieg der Neuzulassungen von E-Autos noch das 9-Euro-Ticket reichten aus, um das Klimaziel im Verkehr zu erreichen. Hätte man die Milliarden fürs 9-Euro-Ticket dann nicht streng nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip und dem Gebot der Effizienz für eine effizientere Verwendung ausgeben können, ausgeben sollen, ausgeben müssen? Zum Beispiel für einen Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur? Das kommt drauf an, in welcher Wirtschaft wir leben.

In einer Marktwirtschaft? So wird das gelehrt. Doch das, worin wir leben, ist vorrangig eine Attention Economy. Und solange ein spektakuläres 9-Euro-Ticket mehr Tweets erzielt als der total langweilige Ausbau von Busfahrplänen, kriegt unfehlbar der Marketing-Gag den Zuschlag. Unter denselben Vorbehalt fallen Ziel-Proklamationen: Ein höchst unrealistisches Mondziel lauthals anzukündigen provoziert mehr mediale und öffentliche Aufmerksamkeit als langweilige konkrete Maßnahmen. Beispiele gefällig?

Bis 2030 sollen 16 Millionen E-PKW auf deutschen Straßen fahren. Und das, obwohl das Verbot der Verbrennungsmotoren erst ab 2035 gilt. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie wenig E-Autos auf dem flachen Land heute auf der Straße fahren? Ungefähr fast keine. Die absolute Zahl liegt bundesweit bei circa 1 Million, das sind keine drei Prozent der insgesamten PKWs. Weitere hehre Ziele: nationale Treibhausgas-Neutralität bis 2045 und eine Senkung der Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990. Innerhalb von sechs Jahren müssten wir also nochmal 25 Prozent oben drauflegen. Was stimmt da nicht? Dass immer nur über Ziele diskutiert wird, selten über die Maßnahmen, mit denen diese erreicht werden sollen und ob diese Maßnahmen geeignet, angemessen, verhältnismäßig, effektiv und effizient sind. Bemühen wir wieder unsere Kühlschrank-Analogie.

Ich komme heim und die Kinder sagen mir, dass wir keine Milch mehr haben. Flugs fasse ich das hehre Ziel: Bis zum Abendessen haben wir einen 10er-Pack H-Milch im Haus! Wie hoch schätzen Sie die Eintrittswahrscheinlichkeit dafür ein?

Null ist eine gute Schätzung – solange keiner sagt: „Gib mir die Autoschlüssel, ich fahre zum Supermarkt.“ Das wäre eine angemessene und geeignete Maßnahme. Maßnahmen gewinnen den Tag, nicht Ziele. Aber wenn das in manchen Haushalten nicht mal mit der Milch klappt, was will man dann von einer ganzen Nation erwarten? Wenigstens Vordenker wie McKinsey haben schon entdeckt, dass Maßnahmen smarter als Ziele sind.

McKinsey hat ausgerechnet, dass die Supply Chain gerade bei Konsumgütern wieviel Prozent Anteil an den gesamten Treibhausgas-Emissionen eines Konsumgüter-Artikels hat? Was schätzen Sie?

Irre 80 Prozent.

Die Herstellung des Produktes verursacht im Schnitt lediglich 20 Prozent der Emissionen. Also schlagen die Meckies folgende konkrete übergreifende Maßnahmen vor: unternehmensübergreifende Optimierung der Frachtlogistik. Klingt gut, hat Anlass.

Einer der Anlässe: Aktuell leiden wir und das Klima EU-weit unter 25 Prozent LKW-Fahrten mit nur teilbeladenen oder ganz leeren Ladeflächen. Jeder vierte LKW fährt leer; grob gesagt. Man sollte das gesetzlich verbieten. Täte man das, vielleicht gäbe es dann überhaupt keinen Fahrermangel? Auf jeden Fall weniger davon.

Weitere vorgeschlagene Maßnahme: Optimierung der Transportverpackungen durch Vereinheitlichung wie bei den Paletten. Einheitliche Standards hätten zur Folge, dass auf jede Ladefläche mehr Ladung passt. Und natürlich: intelligente Kombination der Intermodalität, was Logistik-Chinesisch ist für „Güter gehören auf die Bahn!“ – und aufs Wasser, weniger in die Luft. Luftfracht ist 31 Mal schädlicher als Schienenverkehr. Doch wie lange hören wir den eben zitierten Slogan schon? 40, 50 Jahre? Und was hat sich getan? Solange alle vier Jahre gewählt wird, gibt es zu wenige Jahrhundertprojekte. Im Großen scheitern wir.

Wenigstens geht es im Kleinen voran: Immer mehr Logistikkonzerne und Start-ups nutzen auf der letzten Meile E-Transporter und Lastenräder. Auch das könnte man gesetzlich vorschreiben. Solange das nicht passiert, bleibt’s wieder an jenen hängen, die schon bemerkt haben: Maßnahmen. Nicht Ziele.

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