Träumen wir nicht alle davon? Nur vier Tage die Woche arbeiten! Dafür drei Tage Wochenende! Warum wird das Thema derzeit heiß diskutiert?
Weil seit dem Lockdown in vielen Branchen und Betrieben nicht mehr genug Arbeit für alle da ist. Also anstatt die Kurzarbeit ad infinitum zu verlängern – oder Massenentlassungen zu provozieren – könnten alle einen Tag weniger arbeiten, damit die Arbeit dann für alle reicht. Das ist keine Utopie. Die 4-Tage-Woche wurde schon getestet, zum Beispiel in den 90er-Jahren von VW. Sie folgt, historisch betrachtet, einem Trend.
Denn bis 1908 hatten wir tatsächlich eine 6-Tage-Woche. Erst dann – und das kam wie vieles aus den USA – wurde auf fünf Tage reduziert. Diese Umstellung war 1930 in Deutschland flächendeckend vollzogen. Schon damals sollte die Reduktion der Wochenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden die Arbeitslosigkeit verringern, was sie denn auch tat.
In den 90ern wurde die Arbeitszeit dann weiter auf 35 Stunden verkürzt. Und 2018 vereinbarten die Tarifpartner das Recht auf eine befristete 28-Stunden-Woche. Einige Großunternehmen bieten sie an – ohne Lohnausgleich: weniger Arbeit, weniger Geld, immer begründet mit einer dann besseren Work-Life-Balance. Angesichts der Corona-Krise trat dieses Argument jedoch in den Hintergrund. Was heute Prio1 hat, ist die Arbeitsplatzsicherung. VW hat das bereits getestet.
In den 90ern hatte VW schon mal die 4-Tage-Woche. Damals arbeiteten die Leute 20 Prozent weniger für 10 Prozent weniger Lohn; ein halber freier Tag wurde als noch bezahlt. So könnte das im Prinzip funktionieren: Alle stecken ein wenig zurück, dafür haben alle Arbeit und Auskommen. Rein psychologisch ist das besser als ein bedingungsloses Grundeinkommen, bei dem mit der Arbeit oft auch das Selbstwertgefühl abhanden kommt.
Wenn man sich so umhört: Viele Beschäftigte finden die Aussicht auf die 4-Tage-Woche prima; was auch sonst. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW hält sie für machbar, allerdings ohne vollen Lohnausgleich, da sich viele Branchen und Unternehmen die Mehrkosten, zumal corona-geschädigt, nicht leisten könnten, ohne Pleite zu gehen.
Deshalb erklärte auch der Daimler-Personalvorstand die 4-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich lapidar als „nicht wirtschaftlich“ und meinte damit „mit ruinösen Kosten verbunden“. Selbst und ausgerechnet der VW-Betriebsratschef lehnt die Idee ab: VW brauche sowas nicht! Vermutlich, weil die Auslastung noch oder schon wieder hoch genug ist.
Viele Freiberufler können da nur müde lächeln. Sie leben und arbeiten bereits in der 4-Tage-Woche. Sei es, weil seit dem Lockdown nicht mehr genügend Aufträge akquiriert werden können. Sei es, weil sie sich nicht „kaputtarbeiten“ möchten. Graphiker, die konsequent nur für vier Tage Aufträge annehmen, um noch was vom Leben zu haben. Zahnärzte in Gemeinschaftspraxen, die etwas mehr Zeit für sich und ihre Familien haben möchten. Künstler sowieso (kein Vorwurf). Auch einige Start-ups arbeiten „nur“ vier Tage mit paradoxem Effekt auf die Produktivität: Sie steigt bei manchen, weil die Mitarbeiter den fünften Tag frei und dafür den Schreibtisch leer haben wollen.
Gegen die 4-Tage-Woche spricht auch ein Argument, das eigentlich dafür sprechen möchte: Die Digitalisierung killt Jobs und macht Menschen arbeitslos, also muss weniger Arbeit auf mehr Leute verteilt werden. Das Argument verkehrt sich jedoch ins Gegenteil, wenn man beachtet, dass die Digitalisierung zwar alte Jobs killt, jedoch neue schafft. Und bislang sieht der Saldo nicht negativ aus, was für nahezu alle Mega-Trends der Industriegeschichte gilt: Immer fielen alte Jobs weg und entstanden gleichzeitig viele neue.
Was jedoch tatsächlich gegen die 4-Tage-Woche spricht, sind die Mehrkosten für Unternehmen: Es ist deutlich teurer, drei 33%-Kräfte zu beschäftigen als eine Vollzeitkraft: dreimal mehr Einstellungs- und Trainingskosten, außerdem mehr Koordinationsaufwand, Friktionskosten und mehr Sozialabgaben. Doch hier könnte der Staat ja auch entlasten.
Was am stärksten gegen die 4-Tage-Woche spricht, ist der bereits jetzt und trotz Corona immer noch grassierende Fachkräftemangel, der durch eine Reduktion der effektiven Arbeitszeit eines Mitarbeiters um 20 Prozent noch verschärft würde. Es sei denn, der Betrieb sperrt am fünften Tag einfach zu – doch damit wäre der Lohnausgleich dann wirklich futsch. Woher soll das Geld kommen, wenn am fünften Tag nicht produziert wird? Für viele bereits jetzt unter dem Fachkräftemangel leidenden Mittelständler wäre die 4-Tage-Woche dann nichts anderes als ein Insolvenz-Beschleunigungsprogramm.
Für die 4-Tage-Woche sprechen jedoch auch gewichtige Gründe: Wir hätten endlich Zeit, jene Besorgungen zu erledigen, die nur an einem Wochentag zu erledigen sind: Arzt- und Werkstattbesuch, Handwerker in der eigenen Wohnung, Heizungsableser, Behördengänge, …
Die 4-Tage-Woche verbessert die Work-Life-Balance und die Volksgesundheit, Rücken- und Herzleiden nehmen ab sowie Schlafstörungen und damit die Krankheitstage. Das könnte zu einem paradoxen Saldo-Effekt führen: Die 4-Tage-Woche reduziert zwar die Zahl der Arbeitstage auf der einen Seite, sie steigt jedoch auf der anderen, weil Mitarbeiter weniger Tage krank sind und bei der Arbeit fehlen. Nach dem Motto: Wer von 5 Tagen krankheitsbedingt lediglich 80 Prozent arbeitet, kann auch gleich vier Tage die Woche dann aber 100 Prozent arbeiten.
Selbst auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen müsste der eine wegfallende Tag keinen Produktivitätsverlust bedeuten: Welche Meetings, die „absolute Zeitverschwendung“ sind, könnten und würden Sie denn spontan aus dem Kalender streichen wollen? Auch allein mit dem Aktivieren von Effizienzreserven könnten viele Betriebe immer noch einen ganzen Wochentag einsparen.
Möglicherweise ist die ganze Diskussion auch völlig veraltet, wenn wir betrachten, dass moderne und vor allem Tech-Firmen so etwas wie eine 4-Tage-Woche bereits haben, beziehungsweise weit darüber hinausgehen. Bei Google zum Beispiel herrscht freie Zeiteinteilung und Ortswahl. Wer also meint, in drei Tagen genug zu verdienen, arbeitet nur drei Tage.
Die 4-Tage-Woche könnte viele positive Effekte haben. Sie könnte jedoch nur in solchen Branchen und Unternehmen realisiert werden, in denen genügend Personal vorhanden ist; also schon mal nicht in Branchen wie Pflege oder Dienstleistung, welche die 4-Tage-Woche am dringendsten nötig hätten. Die 4-Tage-Woche würde den Personalmangel quasi um 20 Prozent schlimmer machen. In allen anderen Branchen wäre sie jedoch einen Test wert.
Viele Unternehmen testen derzeit unfreiwillig: Seit dem Lockdown sind einfach nicht mehr genügend Aufträge da. Viele Beschäftigte arbeiten keine vier Tage, sondern nur noch drei oder gar zwei und das schon seit Monaten. Angesichts dessen, dass diese üble Lage noch Monate andauern könnte, erübrigt sich auch die Diskussion: Viele Unternehmen haben die 4-Tage-Woche bereits durch die Hintertür eingeführt – wenn nicht noch weniger.