Haben Sie die Nobelpreisverleihung mitbekommen? Auffallend in diesem Jahr: Viele Frauen bekamen den Preis; zum Beispiel in Chemie, Literatur und anteilig in Physik. Wobei nicht einmal eine so prominente Auszeichnung in der Gender-Frage glatt durchgeht: Die beiden Chemie-Preisträgerinnen liegen derzeit noch im juristischen Clinch mit einem vornehmlich männlichen Forscherteam, das die erste Veröffentlichung der ausgezeichneten Entdeckung für sich reklamiert.
Doch selbst die heuer gesteigerte Frauenquote kann nichts daran ändern, dass in all den Jahren unter den bislang 953 ausgezeichneten Wissenschaftlern bislang lediglich 52 Frauen waren. Das entspricht einer Frauenquote von 5,5 Prozent. Das ist verbesserungswürdig; höflich ausgedrückt. Denn dass Frauen wesentlich weniger oder schlechter forschen als Männer, ist als Erklärung für die geringe Nobel-Frauenquote doch etwas weit hergeholt.
Dabei ist insbesondere der Chemie-Nobelpreis in diesem Jahr nicht nur ein Preis, sondern geradezu ein Sign of the Times, wie Prince sagen würde. Denn grob gesagt wurde mit den beiden Chemie-Preisträgerinnen auch die von ihnen entwickelte CRISPR/Cas9-Genschere ausgezeichnet. Heute noch werden damit Pflanzen und Labor-Organismen gen-manipuliert – morgen möglicherweise Designer-Babys. Das heißt, der Chemie-Nobelpreis von heute bezeichnet möglicherweise eine Zeitenwende zwischen dem herkömmlich gezeugten Menschen und seinem in allen Belangen genetisch verbesserten Upgrade.
Und dann erst der Friedensnobelpreis! Wer wurde vor der Preisverleihung in diesem Jahr als hoher Favorit gehandelt? Die Weltgesundheitsorganisation und natürlich Greta Thunberg. Die WHO wegen ihrer Bemühungen während der andauernden Corona-Pandemie und Greta Thunberg wegen ihres Engagements fürs Klima. Beide gingen leer aus – und das sagt einiges aus, was vom skandinavisch-zurückhaltenden Preiskomitee nie laut ausgesprochen werden würde. Stattdessen wurde mit dem Welternährungsprogramm der UN eine Organisation ausgezeichnet, die in der verheerenden Heckwelle von Corona den sprunghaft angewachsenen Welthunger tatsächlich wirksam bekämpfen kann und wird.
Und wofür ist der Physik-Nobelpreis nochmal? Mehr oder weniger für den Nachweis eines supermassereichen Schwarzen Lochs und mit einigem Stolz dürfen wir sagen: durch den deutschen Forscher Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut in Garching. Dass es Schwarze Löcher gibt, ist seit langem theoretisch gut begründet. Der Haken daran war bis dato: Wie weist der Forscher ein bislang quasi nicht nachzuweisendes Phänomen nach? Genau dieser äußerst schwierige Nachweis gelang Genzel und seinem Team für das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße. Jetzt weiß man, dass da ist, was da ist. Und doch: Viel mehr weiß man über Schwarze Löcher immer noch nicht. Es wäre sowohl im Bereich des Denkbaren, dass Schwarze Löcher wie in „Interstellar“ von Christopher Nolan Zeitreisen ermöglichen – als auch, dass sie jeden Zeitreisewilligen innerhalb von Sekunden, die in einem Schwarzen Loch nicht mehr als solche messbar sind, auf Atomgröße zerquetschen.
Und natürlich sind etliche Trump-Anhänger sauer, dass ihr Präsident nicht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Über derartige Illusionen mag man sich lustig machen, doch diese megalomane Fehleinschätzung beschreibt sehr schön die Divergenz zwischen Popkultur und Forschung: Der Nobelpreis ist kein Beliebtheits-Wettbewerb. Er zeichnet vielmehr die Spitze der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung aus. So gesehen lohnt ein jährlicher Blick auf die Preisträger und ihre gekürten Verdienste. Wir erkennen daran, wie weit wir schon sind.