Logistik rettet Leben

Stellen Sie sich vor: Sie müssen die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten – aber Sie wissen nicht, wann oder in welchem Land sie stattfinden soll und wie viele Besucher kommen werden. Eine irre Aufgabenstellung? Genau die Aufgabe der Humanitären Logistik.

Unter Humanitärer Logistik verstehen wir alle Prozesse, die für den Katastrophenfall mit der Planung, Durchführung und Kontrolle der Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit Hilfsgütern, Mitteln und Personal verbunden sind sowie das Management der damit einhergehenden Informations- und Finanzströme. Also die Versorgung der betroffenen Menschen mit Nahrungsmitteln, Medikamenten, Wasser, Sanitäranlagen und provisorischen Unterkünften. Früher sagte man Katastrophenhilfe dazu. Früher war mal.

Denn in unseren dynaxen und disruptiven Zeiten hat sich die Zahl der weltweiten, akuten und Langzeitkatastrophen in den letzten 40 Jahren nicht verdoppelt, auch nicht verdreifacht, sondern sage und schreibe versechsfacht. Wir leben tatsächlich in Katastrophenzeiten. Was hat die Logistik damit zu tun? Alles.

Bis zu 80 Prozent der Spendengelder wenden die Hilfsorganisationen nämlich für die Humanitäre Logistik auf. Und diese ist so verrückt wie die Eingangsmetapher Fußball-WM: Niemand weiß, wann und wo die nächste Katastrophe zuschlägt und wie viele Menschen davon betroffen sein werden. Und trotzdem rettet die Humanitäre Logistik Jahr für Jahr Tausende und Abertausende von Leben und lindert die schlimmste Not von Millionen. Wenn der kommerzielle Logistiker von „Flexibilität und Agilität“ reden, dann lächelt der Humanitäre Logistiker nur müde.

Denn der kommerzielle Kollege kann auf der Straße flexibel und agil sein – im Syrischen Bürgerkrieg dagegen sind Straßen Mangelware. Oder zerbombt. Oder vermint. Selbst wenn es um so simple aber überlebensnotwendige Dinge wie Babynahrung geht, sind die Hindernisse monumental: Der ins Katastrophengebiet entsandte Kühl-LKW kühlt zwar. Doch zum Beispiel in Erdbebengebieten gibt es verdammt wenige Kühlhäuser, die noch stehen und kühlen. Gerade weil die Humanitäre Logistik eine Extremsportart ist, blüht die Innovation. Car Sharing zum Beispiel.

Das kennen wir aus unseren Großstädten. Für potenzielle Katastrophengebiete wird gerade Truck Sharing angedacht. Die Hilfsorganisationen kaufen die Trucks nicht mehr und fliegen ganze Flotten dann im Katastrophenfalle in die Desaster Area ein. Nein, lange vor dem Katastrophenfall verkaufen oder vermieten sie die LKW zu besonders günstigen Preisen an lokale Händler, Erzeuger und Geschäftsleute mit einer Notfall-Option: Kommt es zur nächsten Katastrophe, müssen die überlebenswichtigen LKW nicht zeitraubend und teuer eingeflogen werden, sondern können direkt vor Ort requiriert werden. Schon Minuten nach der Katastrophe setzt sich der erste Hilfslaster in Bewegung; eine geradezu phänomenale Reaktionszeit: Nach Katastrophen – fragen Sie jeden Verschütteten – zählt jede Minute.

Und immer agieren die Helfer der Humanitären Logistik in der Austastungslücke des modernen Medienzeitalters. Internet und TV berichten ausgiebig von allfälligen Katastrophen. Die rettenden Engel der Katastrophenhilfe dagegen erscheinen eher als notwendige aber kaum beachtete Akteure am Rande. Dass Katastrophenhilfe funktioniert, wird als Gegenstand der Selbstverständlichkeit betrachtet. Das ist die falsche Empfindung. Dankbarkeit wäre angebrachter.

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