Das Handelsblatt kürte uns neulich (für 2019) zum Retouren-Europameister. Das haben wir uns verdient. Denn in nur einem Jahr schafften wir, was sich unsere Großeltern nicht in ihren wildesten Träumen hätten ausdenken können: Wir schickten in nur einem Jahr 301 Millionen Sendungen zurück. Das muss man sich mal vorstellen.
Das bedeutet: Jedes sechste Paket ging zurück. Wobei das ein Durchschnittswert ist. Wir alle kennen auch Shopper, die nie oder höchstens sporadisch etwas zurückgehen lassen. Auf der anderen Seite muss es rein rechnerisch dann wohl Menschen geben, die nicht nur jedes sechste Paket zurückschicken, sondern sehr viel mehr.
Folgerichtig haben im Schnitt 56 Prozent der Deutschen in den letzten 12 Monaten bei einer Online-Bestellung bestellte Waren wieder zurückgeschickt. Das macht uns zu Champions! Wir haben die Europameisterschaft gewonnen, in einer Deutlichkeit, derer wir bei der kommenden Fußball-EM kaum fähig sein werden. Denn zum Beispiel Spanien schaffte nur 49 Prozent. Dass es auch ganz anders geht, zeigen Polinnen und Polen im „unteren“ Teil der Tabelle. Von ihnen haben lediglich 36 Prozent Ware retourniert.
Wie haben wir die Meisterschaft geholt? Mit einem unübertroffenen Ausmaß an Bewusstlosigkeit. Denn in weiten Teilen der Shopping-Bevölkerung herrscht bei informellen Umfragen unter Bekannten und Kollegen das Bewusstsein vor: „Aber Sachen zurückzuschicken ist doch was Gutes!“ Gemeint ist: für die Bequemlichkeit des Kunden! Dass mit den dafür benötigten LKW-Fahrten Umwelt, Klima und Atemluft in den Städten massiv beeinträchtigt werden – dieser Zusammenhang ist noch nicht ins Bewusstsein der Shop-till-you-drop!-Bevölkerung vorgedrungen. Warum auch? Das schadet doch der Customer Experience. Der Schaden für die Bilanz wird dafür gern in Kauf genommen – außer von Unternehmen, die rechnen können.
Von diesen haben vor einiger Zeit einige ihren besonders retouren-verrückten Kunden die Belieferung verweigert – was prompt zu einem Aufschrei des Internets und der Medien führte: „Diskriminierung!“ Dieser Logik folgend sollte man auch keine Ausparker mehr anzeigen, die beim Ausparken dem nächstgelegenen Auto eine Delle verpassen und dann Fahrerflucht begehen. Wir sollten generell keine Täter mehr verfolgen – denn das ist nach dieser Logik ja wohl diskriminierend. Doch solange unsere Medien- und Internet-Gesellschaft eine muntere Täter-Opfer-Umkehr betreibt, taugt die Nichtbelieferung wohl nicht als Lösung. Was denn?
Eine spannende Studie der Uni Bamberg ergab: Schon bei einer Rücksendegebühr von drei Euro könnte das Retouren-Aufkommen um 16 Prozent sinken. In absoluten Zählen wären das 80 Mio. Retouren, wobei fast 40.000 Tonnen CO2 nicht in die Luft geblasen würden. Wie die jeweils aktuelle Regierung das bundesweite Klimaziel erreichen möchte, ohne auf so „simple“ Lösungen wie die gesetzliche Vorgabe einer Retouren-Gebühr erreichen möchte, ist mir schleierhaft. Denn freiwillig bezahlen gerade die manisch Retournierenden diese Ich-will-kein-Umweltsünder-sein!-Gebühr sicher nicht. Wie machen die das überhaupt?
Wie schaffen manche es, jede zweite Sendung zurückgehen zu lassen? Uns normalen Shoppern ist das unerklärlich. Dabei sind die Rezepte für die erfolgreiche Umweltschädigung relativ simpel:
- Bestell nicht, um zu kaufen!
- Bestell einfach als Ersatz für Window-Shopping: Bloß anschauen – dann zurückschicken!
- Bestell nicht deine Konfektionsgröße, die sich seit drei Jahren nicht verändert hat!
- Bestell lieber deine Konfektionsgröße und jeweils die beiden Größen unter- und oberhalb: Sicher ist sicher!
- Bestell auch nicht deine Lieblingsfarbe, sondern sämtliche Farben der Konfektionspalette. Man weiß ja nie, wie die Farben in echt ausfallen!
Und das ist nur eine kleine Auswahl triftiger Gründe, dem Klima den Todesstoß zu geben. Bereits fünf Minuten mit einem psychotischen Shopper liefern ein weiteres Dutzend guter Gründe. Falls sich ein Anhänger der Behavioral Economics unter unseren Leserinnen und Lesern befindet: Wie bringt man Menschen dazu, das Sägen am eigenen Ast einzustellen, wenn die eigene Intelligenz dafür nicht ausreicht? Welcher Nudge schafft diese herkulische Aufgabe? Dafür sollte der Nobelpreis vergeben werden!
Eine andere Umfrage der Hochschule Darmstadt zeigt: 56 Prozent der Befragten fänden es in Ordnung, wenn Maßnahmen ergriffen würden, um Retouren zu vermeiden. Leider gilt auch hier: Gesagt ist nicht getan. Die US-Professoren Pfeffer und Sutton nennen das „The Knowing-Doing-Gap“. 14 Prozent der Befragten lehnen solche Maßnahmen übrigens strikt ab: Das sind dann wohl die Viel-Retournierer. Es ist inzwischen so wissenschaftlich belegt wie dem gesunden Menschenverstand eingängig, dass Retouren weitgehend unnötige Kosten verursachen und Umwelt und Klima schädigen. Doch der Mensch ist in dieser Ungleichung eben der Querschläger-Faktor, der die Lösung der Rechenaufgabe verhindert. Und das wird ja nicht besser. Im Gegenteil.
Wenn Corona noch ein Weilchen dauert, bestellen die normalen Konsumenten noch mehr im Internet und es kommen noch mehr Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel viele Senioren hinzu, die bislang nur wenig mit dem Internet anfangen konnten. Dann wird alles nur noch schlimmer. Aber das kennen wir ja bereits. Zum Beispiel vom herrschenden Missverhältnis des sogenannten öffentlichen Diskurses.
Man hört und liest fallweise unheimlich viel über Demos und Protestaktionen für Klima und Umwelt. Von Aktionen oder Demos gegen den Retouren-Wahnsinn habe ich dagegen noch nie etwas gehört. Das ist typisch für unsere Zeit: Das Symptom verteufeln – damit man selber weiter die Ursache sein kann. Ich wünsche mir ein T-Shirt und eine Basecap mit dem Slogan:
Ich kaufe, was ich brauche.
Retourniert wird nicht.