Das berühmte Ticket

Nun ist es da, das groß angekündigte 9-Euro-Ticket, das die Umwelt, das Klima und unseren Geldbeutel in Zeiten der Spritpreis-Inflation retten soll. Diese Rettung kommt keine Woche zu früh.

Nehmen wir nur einmal die horrenden Summen, die Schulen oder Eltern (je nach Bundesland) für die Monatskarten ihrer Kinder hinblättern. Für einen Schul- und Fahrweg von, sagen wir, 10 Minuten macht das schon mal 80 Euro aus; im Monat! Hashtag „Armutsrisiko Kinder“. Wer drei Kinder verschulen muss, spart bis September einen halben Tausender. Das ist eine Menge Geld.

Natürlich verschwinden diese Kosten nicht einfach; Kosten sind stets ein Nullsummenspiel. Also übernimmt der Bund die Zeche mit insgesamt 2,5 Milliarden Euro – für nur drei Monate. Ein einziges Quartal für eine einzige Maßnahme der Klimarettung kostet solche Unsummen? Was kostet denn dann die ganze Klimarettung? Das haben uns die Klima-Aktivisten freitags und an jedem anderen Wochentag bislang verschwiegen. Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld? Klar ist nur, wer es nicht hat.

Nämlich über 7 Million Menschen, die bislang das Ticket gekauft haben. Sie wollen in Bussen und Bahnen sparen. So viel ist gewiss: Das Ticket ist bereits ein Verkaufsschlager. Was machen die Ticket-Käufer damit? Sich in überfüllten Bussen und Bahnen die Beine in den Bauch stehen? Um das zu verhindern, setzt die Bahn 50 zusätzliche Züge ein, was für ganz Deutschland nicht wirklich viel ist. Aber: Man gibt sich sichtlich Mühe. Fragt sich wofür.

Denn wäre unser ÖPNV so gut ausgebaut wie zum Beispiel in der Schweiz oder Japan, wäre kein 9-Euro-Ticket nötig. Dann würden sehr viel mehr Menschen mit Bus oder Bahn fahren, weil das schneller, bequemer und billiger ist als das Auto. Doch allein „schneller“ ist hierzulande ein Problem. Unsere Bahnen sind nicht unbedingt für ihre übergroße Pünktlichkeit berühmt. „Schneller“ ist auch auf dem Land ein Problem, selbst mit 9-Euro-Ticket, wenn die Busse nur im Stundentakt fahren. Oder wenn die nächste Bus-Haltestelle einen Kilometer entfernt ist. Kein Rentner mit Führerschein lässt dafür seinen Wagen stehen. Das heißt, das Ticket zäumt das Pferd am Schwanz auf. Wäre der ÖPNV attraktiv genug, bräuchte es kein 9-Euro-Ticket et vice versa: Auch ein 9-Euro-Ticket bringt nicht viel, wenn das Auto schlicht das bessere Transportmittel bleibt. Überhaupt: Was passiert denn am 1. September?

Wie viele Menschen werden ab September auch ohne Billig-Ticket weiter mit dem ÖPNV fahren? Vor allem dann, wenn die Preissteigerungen kommen, die von den Verkehrsbetrieben bereits Ende Mai angekündigt wurden, weil sie von den hohen Dieselpreisen erdrückt werden? Das ist eine interessante Frage und ein Experiment mit nationalem Umfang.

Ein teures Experiment. Allein die Nürnberger Verkehrsgesellschaft musste 600.000 Euro in die Hand nehmen für das 9-Euro-Ticket: für zusätzliches Verkaufspersonal und für die Umstellung der Systeme, Automaten und Apps. Im September wird das alles wieder zurückgenommen. Das ist widersinnig: Zukunft ist doch eigentlich etwas Langfristiges, das mit einer extrem kurzfristigen Maßnahme angeschoben werden soll. Ein schnell verlöschtes Strohfeuer soll das anhaltende Feuer der Leidenschaft für Umwelt und Klima entfachen. Wie gesagt: ein Experiment. Warum experimentieren wir?

Warum machen wir den ÖPNV nicht lieber gleich so attraktiv, dass 80 Prozent der Autofahrer das Auto stehen lassen, weil es sich schlicht nicht mehr lohnt? Simple Antwort: Weil das mehr als 2,5 Milliarden Euro kosten würde. Wir schätzen mal:  einen dreistelligen Milliardenbetrag. So teuer ist das Klima, das freitags eingefordert wird. Ein Controller in der weiteren Bekanntschaft kommentierte das mal trocken mit: „Dann gehen wir doch lieber gleich zur Katastrophenabschreibung des Klimas über; dann ist es wenigstens aus den Büchern.“ Und investieren in Klimaanlagen, damit man es wenigstens noch drinnen aushält, auch wenn draußen die Katastrophe tobt. Doch vielleicht gelingt auch das Experiment.

Einige Universitäten begleiten das Experiment wissenschaftlich. Sie werden uns hoffentlich noch in diesem Herbst verraten, wie viele 9-Euro-Ticket-Käufer auch nach dem 31.8. weiterhin mit dem ÖPNV fahren. Diese Menschen tun dann tatsächlich etwas für unser Klima. Sie retten die Welt mit Bus und Bahn.

Vielleicht gibt es mehr Menschen als wir denken, die gerne etwas mehr bezahlen und etwas länger unterwegs sind, allein um ihren Kindern und Enkeln eine Welt zu hinterlassen, auf der es sich zu leben lohnt – oder sich überhaupt überleben lässt.

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