Postschiffe – in Berlin?

Wer „Schiff“ hört, denkt an das große weite Meer. So gesehen: Was haben Postschiffe in Berlin zu suchen? Berlin ist, so seltsam das klingt, eine Wasserstadt. Sie hat mehr Brücken als Venedig: 960 vs. 400. Deshalb prüft DHL gerade den Einsatz von Postschiffen in Berlin. Warum?

Da fällt Ihnen wahrscheinlich spontan ein: Weil Postschiffe keinen mörderischen Stau auf der Straße und kein Verkehrschaos anrichten. Mehr Schiffe auf dem Wasser bedeuten weniger Kleintransporter auf der Straße und im Dauerstau. DHL kennt noch einen anderen Grund: Bei der Zustellung von Paketen, Päckchen, Online-Bestellungen und Briefsendungen ist das Teuerste immer noch die letzte Meile. Vor allem, wenn man viele Bestellungen ausliefert: DHL ist der von Online-Shops am meisten genutzte Versanddienstleister. 81 Prozent der Top500-Online-Shops (nach Netto-Umsatz) nutzen DHL. Das ist ein Riesengeschäft, für das man Riesenkapazitäten braucht, die auf der Straße kaum noch zur Verfügung stehen. Warum also nicht aufs Wasser ausweichen?

Die Idee ist nicht neu. Hamburg, mit einem Kanalnetz größer als das von Venedig, kam schon früher drauf – und verwarf die Idee. Grund: zu langsam. Hamburg hat zu viele Schleusen, als dass der „Paketbote mit der Gondel“ schnell genug sein könnte. Bei diesem Tempo, respektive dem Mangel desselben, sind die Water Cargo Barges, zu Deutsch Wasserfrachtkähne, nicht rentabel. In Hamburg müssten mindestens 460 Fahrten pro Jahr erreicht werden für den Break Even. Bereits in der Konzeptions- und Planungsphase stellte sich jedoch heraus, dass höchstens die Hälfte davon realistisch ist, weil die Logistikdienstleister sich im Zeitalter der 1h-Auslieferung langsam nicht leisten können. Warum sollte das in Berlin anders sein?

Das zeigt der Blick auf die Stadtkarten. Während die Elbe praktisch schnurstracks durch Hamburg strömt, hat die Spree viele Verästelungen, womit sie die prima facie bessere Wasserstraße ist. Außerdem gibt es noch etliche andere Wasserstraßen in Berlin, unter anderem Landwehr-, Teltow- und Havelkanal. Auch deshalb plant DHL derzeit den Postboten im Boot. Wie weit die Planung bereits gediehen ist, ist noch geheim. Denn wenn das klappt, ist das ein Riesen-Renommee-Projekt, mit dem man glänzen kann: nachhaltig, klimaschonend, verkehrsentlastend, innovativ, cool, schnell, rentabel. Die Wasserstraße ist praktisch per se grüner als die Asphaltstraße. Das muss der Grund sein, weshalb der Anteil der Binnenschifffahrt an der Transportdienstleistung in Deutschland seit längerem rückläufig ist. Denn so machen wir das hierzulande.

Wir schrauben angesichts des kollabierenden Klimas die Klimaziele immer weiter nach oben, während wir Maßnahmen, mit denen das Klima gerettet werden könnte und sollte, großzügig ignorieren oder gar zurückfahren. Das ist ein Mega-Bias: Homo sapiens verwechselt Ziele mit Maßnahmen; respektive glaubt, mit Lauthals-Proklamationen von Zielen sei’s schon getan. Wenn ich heut Abend nach Hause komme, sagen mir die Kinder, dass keine Milch mehr im Kühlschrank ist, woraufhin ich lauthals proklamiere, dass ich bis 2027 die Milchquote im Kühlschrank auf 20 Prozent erhöhen werde. Einkaufen gehe ich nicht. Warum auch? Ich habe ja alles getan, was meine Kinder brauchen: ein ehrgeiziges Ziel vorgegeben. Dass der Kühlschrank weiter leer bleibt, geht mich nichts an … Ein schönes Beispiel für Cargo Cult Management. Es fällt schwer, bei solch exorbitanten geistigen Fehlleistungen nicht sarkastisch zu werden. Dabei sollten wir als Gesellschaft dringend solche Fehlleistungen abstellen.

Denn der Online-Bestell-Wahn explodiert: 2013 wurden noch „nur“ 36 Milliarden Paketsendungen weltweit zugestellt. 2020, im ersten Pandemiejahr, waren es bereits 131 Milliarden. Wir sind auch hier ganz weit vorne: Jeder Deutsche bekommt pro Jahr im Schnitt 24 Pakete und schlägt damit den Durchschnittsamerikaner und -briten deutlich. Nur die Chinesen sind mit 70 Paketen pro Kopf „besser“. Ergo: Wir bestellen das Klima kaputt. Den Slogan möchte ich mal auf einem T-Shirt sehen. Über sowas redet keiner. Aber freitags dann auf die Demo … Wir leben in der Attention Economy: Demo ist besser als Machen. Hauptsache Aufsehen erregen. Wie wäre es mit einem anderen Slogan: Rettet das Klima! Keine Pakete!

Leider machen sich die Planer den Wechsel zum nachhaltigen Wasserweg nicht wirklich leicht. In der Hochsaison ab November hat in jüngster Vergangenheit ein führender Logistikkonzern schon einmal bestimmte transatlantische Pakete per Schiff zugestellt, weil die Luftfracht überlastet war. Das schont das Klima. Problem: Ein Schiff ist mehrere Wochen unterwegs, ein Flugzeug mehrere Stunden. Was an sich noch kein Problem gewesen wäre. Das Problem war: Die Kunden wussten nichts davon und warteten. Und warteten. Seither sind die Planer klüger.

Was wäre zum Beispiel, wenn sie uns Kunden einen Bestell-Button anböten: „Mit Schiff dauert’s länger – aber du rettest Klima und Welt!“ Darauf würden doch einige von uns klicken, wetten? Wobei: Auf welchen Prozentsatz wollen wir wetten? 50 Prozent? Wer hat da eben gelacht?

Wer die Menschen kennt. Es denkt doch ganz sicher nicht die Hälfte der Online-Bestellkoller-Erkrankten beim Bestellen ans Kima – sonst hätten wir jetzt keine Klimakrise. Also wie hoch schätzen wir den Prozentsatz der Rechtschaffenen, Anständigen, nicht vom Koller Infizierten, moralisch korrekten guten Menschen ein? 30? 20? 10 Prozent? Ein Armutszeugnis. Wir leben in unmoralischen Zeiten. Damit hat sich der Wir-retten-das-Klima-Button schon erledigt. Bei 10 Prozent ist er praktisch a priori unrentabel. Aber vielleicht schafft ja die galoppierende Inflation, wozu die menschliche Vernunft nicht mehr im Stande zu sein scheint. Wenn alles sauteuer geworden ist, nimmt die Paketlawine von selbst ab. Das Klima: Gerettet von der Inflation.

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