Flug-Scham?

Wir haben Klimakrise. Aber auch Urlaubszeit. Wohin fliegen wir? Fliegen wir überhaupt? Und schämen uns dafür? Freitags auf die Klima-Demo und Samstagmorgen im Flieger nach Florida?

Warum Florida? Wegen der historischen Reminiszenz. 1914 fand in Florida der erste Linienflug für Passagiere statt. 35 km in 20 Minuten. Seither und vor allem in den letzten Jahren hat ein nie dagewesener Preisverfall beim Fliegen zu einem Flugtourismus-Tsunami geführt, der das Klima zu verschlingen droht. Noch 2010 maß dieser Tsunami weltweit 5 Billionen Personen-Flugkilometer im Jahr. 2019 waren es bereits 8,5 Billionen. Experten schätzen, dass er sich bis 2040 auf 19 Billionen mehr als verdoppeln wird. Sofern Inflation, Kriege und Pandemien uns nicht den Spaß am Fliegen verderben, ruinieren wir fliegend das Klima. Wer ist „wir“?

Es ist ein exklusives Wir. Auch hier gilt das Pareto-Prinzip; in extremer Ausprägung: Laut einer Studie wird rund die Hälfte des Klima-Schadens durch Flugverkehr von gerade einmal 1 Prozent der Weltbevölkerung verursacht. Eine andere Hausnummer der Exklusivität: 2018 flogen lediglich 11 Prozent der Weltbevölkerung durch die Gegend. 11 Prozent ruinieren das Klima für die mehrheitlichen 89 Prozent gleich mit. Die weit überwiegende Mehrheit der Menschheit fliegt nicht, sondern löffelt die Suppe der externen Kosten aus, die ihnen die Flugtouristen in den Teller schöpfen. Fliegend das Klima zu schädigen ist ein Luxus, den sich nur wenige leisten. Was nicht heißen soll, dass man nicht auch am Boden das Klima nach Kräften schädigen kann. Wobei eben nicht nur das Klima geschädigt wird.

Modellrechnungen zeigen, dass 2010 weltweit 8.000 Menschen in buchstäblich letzter Konsequenz an den Emissionen von Flugzeugen starben. Jahr für Jahr. Eine Boeing 747 zum Beispiel nimmt bis zu 180 Tonnen Kerosin an Bord (vergleichbare Typen anderer Hersteller vergleichbare Mengen). Allein während Start und Aufstieg verbrennt so ein Großraumflugzeug in 20 Minuten rund 5 Tonnen Treibstoff. Bezieht man alle Starts eines Flughafens in die Rechnung ein, werden alle zwei Minuten 5 Tonnen Kerosin über den Dächern der Häuser in der Nähe des Flughafens verbrannt. Und 1 Kilo Kerosin erzeugt 3,1 Kilo CO2. Unten am Boden macht das die Menschen krank und oben die höheren Luftschichten. Meteorologen weisen darauf hin, dass das CO2, das Flugzeuge auf ihrer Flughöhe ausstoßen, meist in diesen höheren Schichten hängenbleibt und dann quasi wie die Glasscheibe eines Gewächshauses die Erde noch schneller mit der Sonneneinstrahlung aufheizt. Ergo: Fliegen ist Mist. Stört uns das?

Nicht wirklich. Selbst die Fluggesellschaften waren in diesem Sommer vom Ansturm der Flugtouristen überrascht. Überall in den Terminals lange Warteschlangen. Der Nachholeffekt nach (oder während) Corona. Medien thematisieren die Flug-Scham. Müssen wir uns schämen?

Wichtiger als Flug-Scham wäre die Forschung an alternativen Antriebstechnologien. Denn dass wir komplett auf Flugreisen verzichten und mit Mobilität und Globalisierung in die Steinzeit zurückfallen, ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch eine unbillige Härte: Die Expat-Familie in Schanghai hat jedes Recht, zu den Feiertagen zurück in ihre Frankfurter Heimat zu fliegen. Auch Urlaub in fernen Ländern ist nicht etwas, das man Menschen kategorisch verbieten möchte oder in demokratischen Ländern verbieten könnte.

Wenn wir das nicht können oder möchten, brauchen wir andere Treibstoffe. Zum Beispiel Wasserstoff oder andere alternative, synthetische Treibstoffe. Oder das E-Flugzeug – es gibt heute schon Prototypen; kleine Flugzeuge für wenig Passagiere und wenig Fracht. Nachteil: Die im Vergleich zu Kerosin geringe Energiedichte von Akkus reicht nur für geringe Reichweiten und kurze Strecken. Man müsste bei einer Fernreise also von Regionalflughafen zu Regionalflughafen hüpfen und noch mehr von diesen kleinen Flughäfen bauen. Für die Mittelstrecke sind gar nur Turbo-Hybridelektrische Antriebe sinnvoll.

Im Straßenverkehr können wir mit bloßem Auge von Monat zu Monat immer mehr E-Autos entdecken. Am Himmel wird das nicht so schnell der Fall sein. Jedenfalls nicht schnell genug für die Rettung des Klimas. Einige Experten empfehlen daher einen weitgehenden Verzicht aufs Fliegen. Fliegen sollte das sein, was es ist, wenn man seine Umwelt- und Klimaschäden in Gestalt von externen Kosten internalisiert und einrechnet: Luxus.

Wobei „Verzicht“ nach entbehrungsreichen Corona-Jahren für viele Menschen nicht in die Tüte kommt. „Verzicht“ ist auch ohne Corona ein Argument mit unterirdisch schwacher Motivationswirkung. Ein stärkeres Argument liefern die Essenzialisten: Es muss Wichtigeres geben, als um die Welt zu jetten! Also: Zurück zum Wesentlichen! Was ist der Sinn des Lebens? Der wesentlichste Ausdruck unserer Persönlichkeit und unseres Seins? Die ultimative Selbstverwirklichung und Erfüllung? Ein Trip in die Dom.Rep.? Es muss was Bess’res geben. Gibt es. Nur nicht so leicht zu buchen wie ein Ticket nach Mallorca.

Eine dritte Option ist: Urlaub in Italien. Oder Frankreich, Spanien, im Bayrischen Wald, in den Alpen. Dahin kommt man auch ohne größere Klima- und Umweltschäden. Mit dem Auto. Dem E-Auto. Und hoffentlich bald mit dem H-Auto.

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