Hören Sie Ihre Ketten rasseln? Die Ketten der elektronisch-digitalen-technologischen Versklavung des modernen Menschen.
Wer täglich beim Pendeln zu und von der Arbeit ganze S-Bahn-Abteile und Fußgängerzonen voll Smombies (Jugendwort des Jahres 2015: Smartphone-Zombies) antrifft, kommt zwangsläufig auf den Gedanken, dass wir mit dem Suchtpotenzial moderner Elektronik nicht wirklich umgehen können. Das meint auch James Heim, Doyen der Website www.voluntaryenslavement.com, der mich neulich auf den restriktiven Aspekt des Zusammenhangs zwischen technologischer Entwicklung einerseits und Vielfalt und Freiheit von Mensch und Gesellschaft andererseits aufmerksam machte. Eine interessante Anregung. Folgen wir ihr und entwickeln unsere eigene Sicht dazu.
Wer zum Beispiel mit einem Tracker-Armband Sport macht, hört auf den Tracker. Nicht auf seinen eigenen Körper, seine Sinneswahrnehmung, sein kinästhetisches Empfinden oder auf sein ästhetisch-spirituelles Wohlergehen beim Sporteln. Andererseits: Dank Tracker bewegen sich jetzt viele obsessiv-kompulsive ehemalige Couch Potatoes, die ohne mitlaufendes Excel-Sheet sich wohl nie (intensiver) bewegt hätten. So weit zu Mensch und Technik. Im Privaten. Wie erleben wir die stürmische technologische Entwicklung im Beruf?
Bleiben wir in der Branche. Vor Erfindung des Gabelstaplers mussten wir (natürlich nicht wir persönlich) die schwere Fracht mit Sackkarre und Muskelkraft übern Hof karren. Ähnlich erging es uns in Landwirtschaft, Handwerk und produzierender Industrie. Jetzt schleppt der Stapler für uns. Das ist gut. Das ist schlecht, wenn er das in einem Entwicklungsland tut. Dann nämlich macht er fünf ungelernte Hilfskräfte arbeitslos. Es sei denn, sie machen eine Weiterbildung und steigen zu, sagen wir, qualifizierten Lagerarbeitern auf. Wir schlussfolgern: Technologie an sich ist nicht gefährlich. Sie ist es nicht. Sie wird es erst.
Genau dann, wenn wir uns von ihr überholen lassen. Wenn sie sich schneller qualifiziert als wir das tun. Das ist natürlich gemein: Die Technologie zwingt uns, uns weiter zu entwickeln. Aber das tut jeder andere Einflussfaktor (Wetter, Konjunktur, Gesundheit, Politik, Beziehungspartner …) auch. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis, sagt der Lateiner (auf Ovid zurückgehend) und gibt seltenes Zeugnis davon, dass auch der Lateiner sich irren kann: Wir ändern uns nicht bloß deshalb, weil die Zeiten sich ändern. Wir sollten uns gefälligst selbst ändern (wollen).
Aber wir tun es oft nicht schnell und/oder umfänglich genug. Das ist der springende Punkt. Nicht die Technologie versklavt uns, sondern das mangelnde Technologie-Management. Man versklavt sich letztendlich doch immer nur selbst. Ich mache mich zum Sklaven, wenn ich pausenlos suchtartig auf dem Display herumwische. Wir machen uns zu Sklaven, wenn wir in Unternehmen arbeiten (lassen), in denen erwartet wird, dass man 24 Stunden, 7 Tage die Woche digital auf Abruf ist – wegen der Effizienz. Noch so ein Technologie-Mythos.
Für den technologischen Mindset ist Ineffizienz die größte Sünde. Sünde im Sinne des Wortes: Effizienz als Ersatzreligion. Ein Vorwurf, der Wirtschaft und Kapitalismus häufig gemacht wird. Neuerdings kommt der Vorwurf an. Das erkennt man unter anderem an der Renaissance von Begriffen, Methoden und Bewegungen wie Trust Management.
Viele Führungskräfte haben erkannt: Wenn ich meine Lieferkette mit der Kälte des Technokraten digitalisiere, dann entfache ich Missstimmung bis Entrüstung unter meinen Partnern in der Supply Chain. Besser ist, man begleitet die technische Entwicklung auf menschliche, beziehungsorientierte Weise in einer Atmosphäre des gut gepflegten gegenseitigen Vertrauens bei größtmöglicher individueller Freiheit. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Das ist das Gebot der Stunde. Je heftiger die technologische Entwicklung voranschreitet, desto menschlicher sollten das Management und der Umgang miteinander werden. Die technologische Intelligenz fordert uns heraus. Kann unsere menschliche Intelligenz damit Schritt halten? Und was tun wir für die Entwicklung dieser Intelligenz des Miteinanders? Heute?