Der Wird-schon-passen-Irrtum

Eigentlich bewegen wir uns auf Weihnachten zu. Doch für viele ist dieses Fest christlichen Ursprungs inzwischen synonym zu „Hochsaison“. Bücher, Geschenkartikel, Unterhaltungselektronik, Digitalkameras und viele andere Produkte verkaufen sich jetzt am besten. Amazon wird in diesen wenigen Wochen wie auch so mancher traditionelle Buchladen des Einzelhandels 40% seines Jahresumsatzes einfahren. Nur der geringste Teil dieses Umsatzes ist Make-to-Order, also nach Auftrag gefertigt. Das meiste kommt vom Lager.

Der Industriebäcker fängt nicht erst im Herbst mit dem Backen von Dresdner Christstollen an, sondern spätestens im Sommer. Er versucht, seine Produktion übers Jahr zu nivellieren, denn seine Belegschaft und seine Kapazitätsauslastung kann er nicht so heftig schwanken lassen wie die Nachfrage. Der Handel dagegen macht das Gegenteil von Nivellierung und packt vor der Hochsaison seine Lager voll. Dann greift er zur Flexibilisierung.

Er stockt oft auf dramatische Weise seine Lieferkapazität auf. Allein bei Amazon werden deutschlandweit ab Oktober wieder circa 13.000 Saisonarbeiter eingestellt – und die Anzahl der Auslieferungen schießt in die Stratosphäre. Was digitale Zeiten an Arbeitsplätzen anderswo vernichten, machen sie hier in antiquiert scheinender Form teilweise wieder wett: In Zeiten von autonomen Anlagen, Internet of Things und Robotik funktioniert diese flexible Anpassung der Auslieferungsleistung nur dann, wenn ein Lager eben nicht vollautomatisiert ist. Sondern wenn viele Arbeitsabläufe manuell ausgeführt werden können. Dann stellt man einfach einige tausend Hände mehr ein – und die Leistung geht hoch.

Andere Hersteller wehren sich anders gegen die saisonalen Schwankungen. Wer zum Beispiel Ski oder andere Winterartikel herstellt oder vertreibt, kann nach Südamerika oder Australien verkaufen – wenn wir Sommer haben, ist dort Winter. Oder man macht es wie viele Skihersteller und stellt auch Skates oder Skateboards her: Dann hat man zweimal Saison im Jahr und kann seine Mitarbeiter das ganze Jahr über beschäftigen und vor allem auslasten.

Trotzdem hat man bei Saisongeschäft immer das Problem: Wie wird die Saison? Und hier wird es interessant. Was der Manager früher aus dem Bauch heraus oder auf Basis seiner Erinnerung und Erfahrung voraussagte, macht er heute natürlich mit der passenden Software. ERP-Systeme und Pakete mit Business-Software bieten eine reiche Auswahl an statistischen prognostischen Verfahren an. Und was machen Manager?

Sie nutzen sie. Sie nutzen die klassischen Verfahren wie zum Beispiel den gleitenden Durchschnitt oder die exponentielle Glättung erster Ordnung – und schon haben wir den Salat. Wer sich hier und heute noch im Studium oder vor dem Abitur befindet, beginnt zu kichern: Gleitender Durchschnitt? Bei Saisongeschäft? Was nützt mir ein Sommerdurchschnitt für die Winterhochsaison! Das ist absurd!

Das ist nicht nur absurd, das liefert einen systematischen Fehler. Das leuchtet selbst dem statistischen Laien sofort ein – und davon gibt es im Management kaum welche. Dass viele klassische statistische Verfahren fürs Saisongeschäft völliger Unfug sind, hat nun wirklich jeder Manager, jede Managerin für Diplom, Bachelor, Master oder fürs General Management Development Training gelernt. Das weiß auch jeder Manager – und dann rechnet, plant und kalkuliert er doch wieder mit der falschen Methode. Warum? Worauf tippen Sie?

Weil das Standardeinstellung der Software ist, die Default Option. Das ist irre? Das ist total banal? Das ist es. Und Studien zur Nutzung von statistischer Business-Software zeigen: Erschreckend viele Manager arbeiten mit dieser Standard-Einstellung ab Werk. Dabei sind die korrekten Methoden wie zum Beispiel die exponentielle Glättung dritter Ordnung buchstäblich lediglich einen Mausklick entfernt! Man müsste nur das richtige Kästchen anklicken! Tut man(ager) aber nicht in vielen Fällen. Tun wir alle nicht.

Wir klicken doch alle bei Software, Smartphone, Digitalkamera, Receiver, Spam-Filter, ja selbst beim Media Center unseres neuen Autos auf „Empfohlene Standardeinstellung“ und nicht auf „Benutzerdefinierte Einstellung“. Nota bene: privat! Aber im Management? Prüfen Sie doch mal, welche Verfahren in Ihrer statistischen Software am Arbeitsplatz aktiviert sind.

Kein Vorwurf, wir alle fallen gelegentlich auf den Default-Bias oder den Wird-schon-passen-Irrtum herein. Nur ein Klick! Nie war es einfacher, Riesenfehler zu begehen. Die Digitalisierung sorgt dafür, dass wir uns langsam aber sicher das Denken abgewöhnen. Wehren Sie sich! Denken Sie selber – bevor es eine Maschine für Sie tut.

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