Alle reden vom Elektro-Auto…

…als ob es nichts anderes gäbe. Gibt es aber, zum Beispiel die Brennstoffzelle. Schon mal gehört? Ja, schon, aber was war das nochmal?

Das Prinzip hinter der Brennstoffzelle kennt jede und jeder, die Chemie als Schulfach hatten. Kaum ein Chemielehrer (gibt es auch Chemielehrerinnen?) lässt die Gelegenheit aus, seine Schülerinnen und Schüler mit der Knallgasreaktion aufzuwecken. Wasserstoff und Sauerstoff in einem Reagenzglas zusammenbringen – und kawumm knallt und blitzt es mächtig und das Reagenzglas beschlägt mit Wasserdampf: Einziges Abfallprodukt ist Wasser. Genau so funktioniert auch die Brennstoffzelle.

Wenn es auf diese Weise in der Brennstoffzelle knallt, treibt die dabei freiwerdende Energie den Motor des Autos an. Gute Sache. Vor allem im Vergleich mit dem Elektro-Auto: Das Auftanken mit Wasserstoff ist in drei bis vier Minuten erledigt – genau so schnell wie beim Verbrennungsmotor. Aber sehr viel schneller als beim Elektro-Auto. Auch die Reichweite des Brennstoffzellen-Autos ist mit dem Verbrennungsmotor vergleichbar und liegt weit über der von Elektro-Autos. Wenn das so ist, warum reden dann alle vom Elektro-Auto? Das ist doch paradox, um es euphemistisch zu umschreiben.

Es ist tatsächlich ein Paradoxon: Weil alle vom Elektro-Auto reden, ist und wird die Brennstoffzellen-Technologie viel weniger erforscht. Also redet man auch viel weniger darüber – und das Ganze beginnt von vorne. Mit zunehmender Forschung würden die (noch) hohen Kosten der Technologie sinken. Wir Menschen haben eine hoch entwickelte Technologie. Von unserer kollektiven Intelligenz lässt sich das nicht behaupten. Was schade ist.

Denn dass die Brennstoffzelle in der Verkehrspraxis tadellos funktioniert, beweisen viele Projekte. In Berlin zum Beispiel sind etliche Linienbusse mit Wasserstoff unterwegs. Die Firma Alstom testet einen Zug, der auf nicht elektrifizierten Gleisstrecken mit abgasfreiem Wasserstoff statt mit rußendem Diesel fährt. Und dann gibt es noch Amazon.

Schon beeindruckend bis bedrohlich, wie oft Amazon im Zusammenhang mit Innovationen erwähnt wird, nicht? Also: Auch Gabelstapler werden häufig mit Wasserstoff betrieben. Weil die Logistik keine Dieselabgase in großen Lagerhallen gebrauchen kann. Das vergiftet die Lagerarbeiter. Abgasfreie Stapler sind Amazon so wichtig, dass der Konzern 23 Prozent seines Stapler-Herstellers übernommen hat. Auch Walmart hat mehrere tausend Wasserstoff-Stapler im Einsatz.

Denn wenn das Elektro-Auto kommt, kommt bestimmt nicht der Elektro-Stapler: Wir Online-Käufer fänden das nicht toll. Weil Elektro-Stapler regelmäßig für Stunden aufgeladen werden müssen, braucht man viel mehr Stapler, um die ruhenden Fahrzeuge zu ersetzen. Mehr Stapler kosten mehr Geld, das wir Online-Käufer via Preis berappen müssen. Der Wasserstoff-Stapler muss dagegen lediglich und ganz gewöhnlich betankt werden. Geht ruckzuck. Und ist billiger als Ersatzstapler zu kaufen.

Wenn man das alles liest, fragt man sich erneut: Warum setzen alle aufs Elektro-Auto?

Weil Wasserstoff beim Laien, der in Chemie nicht aufgepasst hat, negative Assoziationen weckt: Man denkt vielleicht spontan an die Wasserstoffbombe. Und wegen dieser laienhaften Fehlassoziation gefährden wir unsere Zukunft und unsern Fahrspaß? Der Mensch ist ein Rätsel.

Natürlich gibt es europaweit nur rund hundert Wasserstoff-Tankstellen. Während wir ungefähr 14.500 Benzintankstellen haben – allein in Deutschland. Aber auch das Ladestellen-Netz für Elektro-Autos wird gerade erst auf- und ausgebaut – das schenkt sich nichts im Vergleich.

Dritter möglicher Hinderungsgrund: Zwar ist Wasserstoff das am häufigsten vorkommende Element im bekannten Universum. Doch weil er meist in gebundener Form vorkommt, ist seine industrielle Gewinnung sehr aufwändig. Und erst dann wirklich klimaneutral, wenn er komplett mit erneuerbaren Energien gewonnen werden kann. Doch dieses Argument trifft dem Prinzip nach doch auch auf das Elektro-Auto zu: Solange dessen Strom zwar aus der Steckdose, der Strom der Steckdose jedoch vom Kohlekraftwerk kommt, ist das Elektro-Auto eben nicht so umweltfreundlich wie viele unüberlegt annehmen oder manipulativ unterstellen. Also warum reden dann alle nur vom Elektro-Auto?

Weil es als Übergangstechnologie – wie der Diesel – erst mal ein gutes Geschäft ist? Bevor wir dann in 20 Jahren feststellen, dass die Brennstoffzelle doch die bessere Antriebstechnologie ist? Nur um dann mit einer Abwrackprämie für die dann veralteten Elektro-Autos noch einmal ein gutes Geschäft zu machen? Das wäre vielleicht nicht der klügste und auf keinen Fall der direkte Weg. Doch wie John Kay, seines Zeichens Gastprofessor an der London School of Economics, in seinem Buch „Obliquity“ ausführt, ist Obliquität „Die Kunst des Umwegs“. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben erreichen wir selten auf direktem Weg.

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