Twitter mir!

Bis in zwei Jahren, so schätzen Experten, werden drei Milliarden Menschen die Sozialen Medien nutzen. Also fast die Hälfte der Menschheit schickt sich dann gegenseitig Bildchen, Selfies, Videos und Texte, deren Preisgabe an Privatem nur noch von ihrer Banalität übertroffen wird. Wobei beides nicht wirklich stimmt. Nicht ganz.

Was oft vergessen wird: Die Sozialen Medien werden nicht nur privat genutzt, sondern auch beruflich und geschäftlich, mit eigenen Netzwerken. Xing zum Beispiel hat allein in Deutschland rund 12 Millionen Nutzer, LinkedIn weltweit über 500 Millionen: Soziale Medien werden auch stark im und für den Beruf genutzt. Und damit ist nicht das heimliche Twittern unterm Tisch während Meetings mit hohem Gähnfaktor gemeint. Nein, man(ager) twittert jetzt auch ganz offiziell. John Deere zum Beispiel.

Als der Weltmarktführer für Landmaschinen das erste Exemplar seines neuen Aufsitzer-Rasenmähers komplett zusammengeschraubt hatte, kündigte der dessen mit Spannung von der Gemeinde erwartete Jungfernfahrt und offizielle Präsentation per Twitter mit. Vielleicht ist das für uns Außenstehende etwas schwer zu verstehen, doch der Tweet wurde von der Community mit entsprechender Begeisterung aufgenommen. John Deere hat auf Twitter weltweit immerhin 163.000 Follower. Beindruckend. Und nützlich.

Denn schneller und eingängiger als per Tweet kann kein Unternehmen mit seinen Kunden kommunizieren. Und gleichzeitig die Mitbewerber beeindrucken. Denn jede Kurztextnachricht (es gibt auch andere Messenger-Dienste außer Twitter) ist immer auch ein kleines Locken gegen den Stachel der Konkurrenz: Schaut mal, was wir gerade wieder auf die Beine stellen!

Kurz und gut: Immer mehr Unternehmen twittern (die Digital Natives twittern, sie tweeten nicht – auch wenn das, was sie twittern, Tweet heißt). Anders gesagt: Viele Unternehmen haben extra Mitarbeiter beauftragt oder sogar eingestellt, die fürs Twittern bezahlt werden. Da sage noch einer, die Digitalisierung vernichte Arbeitsplätze. Das tut sie, zweifelsohne, einerseits.

Aber sie schafft andererseits auch neue Berufe wie den Social Media Specialist, der (vereinfacht gesagt) den lieben langen Tag twittert und postet und uploaded. Denn die engen Beziehungen mit Endkunden, welche durch soziale Medien erreicht werden können, müssen sorgfältig gepflegt werden. Wie zu einem guten Freund/in. Wer textet, steigert Kundenbindung und Markentreue.

Das ist fast so wie in einem Club: Wer mal im Club drin ist, bleibt auch im Club. Und die Kurztexte sorgen dafür, dass alle schön brav beim Haufen bleiben. Der alte Spruch „Wer schreibt, der bleibt“ müsste im Digitalzeitalter wohl heißen: Wer (kurz) angeschrieben wird, der bleibt. Man könnte das als Manipulation sehen – wobei zur Manipulation immer zwei gehören: Einer, der’s macht und einer, der’s mit sich machen lässt.

Man könnte die Kurztexterei aber auch von der anderen Seite her betrachten: Die Kommunikationsindolenz vieler Hersteller und Händler ist doch legendär. Wenn es etwas zu vermelden gibt, dann erfahren wir das meist aus den Medien und nicht zuerst vom Hersteller oder Händler unseres Vertrauens. Das ist mundfaul, peinlich, vertrauens- und geschäftsschädigend und im Kommunikationszeitalter ziemlich autistisch.

Eigentlich sollte der Hersteller oder Händler der erste sein, von dem der treue Kunde erfährt, was ihn direkt angeht, zum Beispiel Lieferengpässe, Verfügbarkeit neuer Modelle, Anwendungstipps, Veränderungen bei den Zuständigkeiten und Bestellprozessen, Rückrufe, Sonderaktionen, Schnäppchen, günstige Restbestände, Events, …

Früher sagte man: Ein Unternehmen ohne eigene Website ist undenkbar. Heute könnte man sagen: Ein Unternehmen ohne Chef-Kurztexter ist kommunikationsallergisch. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er schätzt es auch, wenn man (mindestens) täglich das Wort an ihn richtet. Das ist nicht „bloß“ ein Instrument der Kundenpflege – wobei Kunden ja das eigentliche Kapital eines Unternehmens sind.

Das kommt aber auch und vor allem der Effizienz und Effektivität der Kommunikation in der modernen Welt zugute. Wir alle kennen und leiden doch unter der um sich greifenden Kommunikationsmüdigkeit: E-Mails werden kaum noch gelesen, geschweige denn beantwortet, weil wir alle längst in der Mailflut untergegangen sind. Zum Telefon greift ohnehin kaum einer. Einen Kurztext dagegen kann man jederzeit aus der Hüfte abschicken und zwischen Tür und Angel lesen. Wir sollten die Twitterei nicht als „Privatvergnügen“ abtun, sondern im Gegenteil professionalisieren und bei der Arbeit einsetzen. Wer weiß, wie viele Projekt-Desaster hätten vermieden werden können, wenn die Leute nicht nebeneinander her gearbeitet und sich gegenseitig angeschwiegen, sondern wenn sie sich immer mal wieder kurz getextet hätten.

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