Neulich überraschte mich meine Nachbarin mit einer unerwarteten Aktion. Als der DHL-Bote vor ihrer Tür auftauchte, wäre sie dem verdutzten Boten vor Freude fast um den Hals gefallen: „Endlich ist es da!“, rief sie. Ihre war eine der Millionen Sendungen, die wegen des Poststreiks liegengeblieben waren. Der Bote zuckte mit den Schultern: „Normalerweise schimpfen die Leute, wenn ich Liegengebliebenes ausliefere. Bedankt hat sich noch keiner …“ Dank ist nicht das Einzige, was in der Logistik vermisst wird. Vor allem auf der operativen Ebene.
Peinlich genug: Für „einfache“ Lagerarbeiter zum Beispiel war die Einführung des Mindestlohns vielerorts eine Lohnerhöhung. Mit solchen und ähnlichen Missständen wird immer gerne zu erklären versucht, warum die Branche derart unter Wertschätzungsdeprivation leidet. Das ist etwas vorschnell geschlussfolgert.
Dass wir unseren Logistiker schlecht bezahlen, hindert uns doch nicht daran, ihm gelegentlich auf die Schulter zu hauen und zu sagen: Danke guter Mann! Dass wir uns immer erst dann an die Segnungen der Logistik erinnern, wenn Amazon im Advent bestreikt wird und der Weihnachtsfrieden unterm Gabenbaum gefährdet ist, entbindet uns doch nicht von der eigentlich selbstverständlichen Höflichkeit, diesen hart arbeitenden Menschen hin und wieder jene Wertschätzung zu schenken, die sie täglich im Schweiße ihres Angesichts verdienen. Das hat weniger mit Lohn und Tarif und mehr mit Anstand und Würde zu tun. Die Würde des Menschen ist unantastbar? Hoffentlich auch bald in der Logistik … Diese Hoffnung gilt nicht nur dem Paketempfänger an der Haustür, sondern auch den KollegInnen aus der Produktion.
Bislang sind vor allem die operativen Logistiker in vielen Unternehmen Kollegen zweiter Klasse. Man muss dafür nur die Werkverträge für die Produktionslogistik ansehen. Oder wie man vom Band herab jene KollegInnen behandelt, die den ganzen Input für die Produktion anschleppen. „Danke“ ist keine Stadt in Südchina. Bricht uns etwa ein Zacken aus der Krone, wenn wir mal, wie meine Nachbarin, unsere Freude darüber ausdrücken, dass uns ein fixer Logistiker mit einer superschnellen Lieferung vor einem drohenden Engpass in der Fertigung bewahrt?
„Sustainable Supply Chain“ ist ein großes Schlagwort. Das Mindeste, was wir dafür tun können, ist darauf zu achten, dass sich die soziale Dimension der Nachhaltigkeit nicht nur auf die Produktion, sondern auch auf die Produktionsversorgung erstreckt und nicht nur auf die eigenen Mitarbeiter, sondern auch auf die Zuarbeiter. Das wär doch mal was!