Angst aus dem Netz

Industrie 4.0, Logistik 4.0: Wenn die Maschinen autonom werden, wer kontrolliert sie dann noch? Wenn 60 Milliarden Devices total vernetzt sind, was bedeutet dann ein Totalabsturz des Netzes? Digital-Pompeji? Reicht dafür ein einzelner Cyber-Terrorist?

Die Digitalisierung nimmt uns Arbeit ab – aber wie viel nimmt sie uns weg? Alle sind total begeistert vom Internet der Dinge, man mag den Hype schon kaum mehr hören. Über die „Job-Killer aus der Cloud“ wird nicht annähernd so intensiv oder emphatisch diskutiert. Brechen wir das Digital-Tabu.

Wenn wir ehrlich sind, machen wir uns alle ein wenig Sorgen, ob wir in der schönen neuen Welt der autonomen Maschinen noch etwas zu tun, geschweige denn zu sagen haben. Ein erstes Antidot gegen drohende Digitalallergie ist ausgerechnet die Geschichte.

Die Angst vor der Technik ist so alt wie die Menschheit, respektive die Technik. Jede Wette: Schon im Neandertal fürchteten Kohorten von Steineschubsern und Mammutschleppern die Arbeitslosigkeit, als der damalige Chef-Innovator mit der Erfindung des Rades daherkam. Danach hatten die Pferdekutscher Angst bei der Erfindung des Verbrennungsmotors, die Fabrikarbeiter vor der Dampfmaschine und Sekretärinnen vor dem Computer.

Die Beispiele zeigen nicht nur, dass die Angst (volkswirtschaftlich und über einen längeren Zeitraum betrachtet) unbegründet war, sondern auch warum: Wer einen Vierspänner fahren kann, beherrscht nach Umschulung auch einen LKW (wer soll die Kiste denn sonst fahren?). Solche disruptiven Innovationen verlangen vom Wirtschaftsindividuum radikal neues Know-how. Das ist die Bedrohung. Wer dieses Know-how mitbringt, erntet die Belohnung. Sie wird bereits geerntet.

Schon heute gibt es neue Berufsbilder, die vor 20 Jahren noch reine Science Fiction waren. Zum Beispiel den Social Media Manager. Ohne Scherz. In Amerika werden derzeit händeringend Data Scientists und IT-Security Manager gesucht. Angst sollte uns weniger die Cloud als vielmehr unsere zugegebenermaßen manchmal massive mentale Masseträgheit machen. Wir sollten nicht die Innovation, sondern die Indolenz fürchten.

Wann immer in der Supply Chain (und anderswo) neue Computer aufgestellt, neue Assistenzsysteme eingeführt oder neue Software aufgespielt wird, zerfällt die Reaktion grob in die übliche Drittel-Verteilung. Ein Drittel der Betroffenen ist zunächst einmal, nun, betroffen, also aktiv ablehnend. Ein zweites Drittel wartet erstmal ab und sitzt aus („ob sich das durchsetzt?“). Das dritte Drittel sitzt bereits am Lernprogramm des neuen Systems und nervt den Schulungsleiter mit Anwendungsfragen. Diesem Drittel gehört die digitale Zukunft – wobei die Häufigkeitsbetrachtung hier ihre Nützlichkeit verliert. Denn dieses Drittel können wir alle sein.

Indem wir so offen, neu- und wissbegierig werden wie diese Avantgarde. Indem wir hinter der Bedrohung die Chance so lange postulieren, bis sie sich als Self-Fulfilling Prophecy herausstellt. Indem wir Offenheit nicht (Fixed Mindset!) als binären Trait postulieren, sondern als progressive Fähigkeit wie Tennisspielen auch: Nicht über Nacht von Zero to Hero, sondern jeden Tag ein bisschen mehr, ein bisschen offener, ein wenig neugieriger. Ich denke hier bewusst nicht an das sogenannte „Lebenslange Lernen“, weil dessen prohibitiv abstrakte Bedeutung inzwischen jede(r) durchschaut haben dürfte.

Ich denke an etwas viel Transfernützlicheres: Alltägliches Lernen. Es gibt auf der C-Ebene jede Menge Manager, die immer noch ihre E-Mails von der Sekretärin ausdrucken lassen. Und im Lager wird immer noch zu viel gestöhnt, wenn zum Beispiel die Datenbrille eingeführt wird. Niemand verlangt von uns, den Wandel zu umarmen! Aber wenn wir uns jeden Tag auch nur ein paar Minuten mit dem Neuen beschäftigen, verlieren wir zuerst unsere Indolenz und dann unsere Angst und gewinnen etwas, das man gemeinhin Zukunftskompetenz nennt. Nicht Mut, sondern Kompetenz ist das Gegenteil von Angst. Heute schon dazu gelernt?

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