Logistik vom Mars

Wie bitte? Ja genau. Es geht um den 6D9. Das ist nicht der neueste Mars-Rover und auch nicht der Bruder von R2D2 aus dem Krieg der Sterne, sondern der neueste Paket-Roboter. Seit letzter Woche fährt dieser knapp kniehohe Geselle Pakete aus. In Hamburg. Seit Juli machen das vergleichbare Roboter in Pilot-Städten wie Bern, London oder Düsseldorf. Auf der letzten Meile.  Die Medien berichten enthusiastisch über den Hauch Science Fiction im Fußgänger-Alltag, sogar die New York Times schrieb über den Paket-Roboter. Er könnte die Lösung für ein altes Problem sein.

Denn die letzte Meile bis zur Haustür des Empfängers ist teuer. Weil er oft nicht zu Hause ist, kein Nachbar statt seiner das Paket annehmen kann oder möchte, der Bote ein-, zweimal erneut anreisen muss, was die Personalkosten aufbläht; ganz zu schweigen von der nicht minder teuren Lagerkapazität für noch nicht zugestellte Sendungen. „Individuelle Logistik ist entscheidend!“, sagen die Experten immer. Mit dem 6D9 haben wir, solange die Flugdrohnen noch nicht fliegen (dürfen), ein ideales Vehikel dafür.

Ich komme spät abends von der Arbeit nach Hause, längst hat auch jeder Paketdienst Feierabend, ich tippe dem Roboter auf mein Smartphone: „Bin da! Fahr los!“ Das macht er. Und schickt eine SMS los, wenn er vor unserer Haustür steht: „Bin auch da! Hier ist dein Zugangs-Code!“ Vom Volumen her bringt er auf diese Weise zwei Schuhkartons ins Haus, maximale Zuladung 10 kg. Wenn ihn unterwegs keiner klaut. Was jetzt nicht unbedingt die Gefahr ist. Wenn er mit GPS navigieren kann, kann er damit auch geortet werden.

Der Roboter funktioniert im Prinzip wie die automatischen Staubsauger und Rasenmäher, die man jetzt vermehrt bestaunen kann. Noch nicht ganz: Während der Pilot-Projekte läuft noch ein menschlicher Begleiter neben dem Kleinen her; der sogenannte Rover Tender. Denn der Kleine lernt noch. Manchmal bleibt er stehen und bockt. Dann muss der Begleiter dem Programmierer in der Zentrale durchgeben: „Sag ihm mal, dass das ein herabgefallener Ast auf dem Bürgersteig ist, um den er herumfahren kann!“

Irgendwann hat der Roboter alles gelernt, was man über den menschlichen Straßen- und Gehweg-Verkehr auf der Erde wissen kann – und darf solo auf Auslieferung rollen. Das ist genau der richtige Schritt: Der Lieferservice der Zukunft ist ein hoch individualisierter Service. Die Individualität der Logistik auf der letzten Meile wird in den kommenden Jahren nämlich ein entscheidender Wettbewerbsfaktor werden. Ob 6D9 dafür die Lösung ist – was sich noch herausstellen muss – ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass sich die Verantwortlichen aktiv damit auseinandersetzen und nach der optimalen Lösung suchen. Sie nutzen die neueste Technik, um die Bedürfnisse von uns Kunden noch besser zu befriedigen. Mit leicht paradoxem Ergebnis: Der Paketbote wird anonymer, damit das Lieferzeitfenster persönlicher wird.

Was ist mit der Unfallgefahr? Kann der 6D9 mich versehentlichen über den Haufen rollen, wenn ich wie er in der Fußgängerzone unterwegs bin? Immerhin fährt er auf dem Gehweg! Aber das machen Kinderwagen auch. Und viel schneller ist die „Rollende Fritteuse“, wie die ZEIT spottete, auch nicht: 6 km/h. Im Gegensatz zum Kinderwagen kann der Roboter erkennen, wenn ich ihm entgegen komme oder im Wege stehe. Was er nach dem Erkennen macht, ist derzeit noch Anlass zur Erheiterung.

So berichtet DIE ZEIT von einem Passanten, den der 6D9 beim unfreiwillig komischen Versuch, einen Tisch im Straßencafé zu umfahren, zum Ausruf veranlasste: „Ist das ein Witz?“ Andere augenzeugenden Fußgänger meinten: „Sind das die neuen Drohnen? Die sehen eher aus wie ein Staubsauger!“ Was ebenfalls noch nicht raus ist: Wie nachhaltig ist der Roboter? Natürlich erspart er dem bedieselten Paketboten vergebliche Ausfahrten. Doch ob und wie viel nachhaltiger das die letzte Meile macht, lässt sich frühestens nach Abschluss der Feldversuche kalkulieren.

Irgendwann werden sich Fußgänger nicht mehr erschrecken, wenn so ein Roboter plötzlich unvermittelt vor oder hinter ihnen auftaucht. Irgendwann bekommen wir unsere Sendungen nicht, wenn der Nachbar sich erbarmt, wir im Feierabendverkehr zehn Sekunden vor Geschäftsschluss noch die Paket-Agentur erreichen oder im Regen vor der Packstation stehen. Sondern gemütlich im Fernsehsessel sitzend und die Smartphone-Tastatur tippend: Robby, fahr los!

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